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Zwei-Säulen-Modell - Die SPD ist gespalten

Von Peter Ulrich Meyer

Im Raum 151 des Rathauses hat die Enquete-Kommission Bildungspolitik der Bürgerschaft am Sonnabend die Weichen für das Schulsystem der Zukunft gestellt. Eine Mehrheit der Experten aus Politik, Wissenschaft und Praxis sprach sich für das Zwei-Säulen- oder Zwei-Wege-Modell aus: das Nebeneinander von Gymnasium und Stadtteilschule, die sich aus Haupt-, Real- und Gesamtschulen sowie Aufbau- und technischen Gymnasien entwickeln soll.

Doch ob der Bildungszug jemals die neue Strecke befahren wird, ist sehr fraglich. Die mit knapper absoluter Mehrheit regierende CDU hat zwar einen Fahrplan für die umfassendste Strukturreform seit Einführung der Gesamtschulen vor mehr als 30 Jahren vorgelegt. Zugleich betonen die Christdemokraten aber, dass eine derart grundsätzliche Entscheidung nur mit einer breiten Mehrheit beschlossen werden sollte. Und hier liegt das Problem: Die SPD ist in dieser Frage tief gespalten, die GAL lehnt das Zwei-Säulen-Modell völlig ab und propagiert die Schule für alle.

Bei der Analyse der Schwächen des jetzigen Schulsystems sind sich noch alle einig: Generell gilt die Vielgliedrigkeit des Hamburger Schulwesens nicht mehr als Vorzug. Einig sind sich alle auch darin, die Hauptschule als eigenständige Schulform abzuschaffen. Diese Schule wird immer weniger angewählt, und die Schüler sind beinahe schon stigmatisiert.

Doch jenseits davon beginnen die Probleme. Ein Teil der Sozialdemokraten - um die Bildungsexpertin Britta Ernst und Bürgerschafts-Fraktionschef Michael Neumann - sowie alle SPD-Enquete-Sachverständigen können mit dem CDU-Vorschlag der zwei Säulen gut leben. "Wir müssen der hohen Akzeptanz der Gymnasien Rechnung tragen", sagte Ernst in der Sitzung vorsichtig. Das heißt: Politiker dürfen nicht außer Acht lassen, dass die Hälfte der Eltern ihre Kinder aufs Gymnasium schickt.

"Die SPD hat sich auf ihrem Parteitag deutlich gegen das Zwei-Säulen-Modell ausgesprochen", setzte Ernsts Parteifreund Gerd Lein dagegen. Das Ziel der SPD ist die Schule für alle nach skandinavischem Vorbild. Lein und eine Reihe weiterer SPD-Bildungsexperten wollen keine Umwege, sondern die Schule für alle direkt ansteuern - Elternwille hin oder her.

Einen Tag nach der Enquete-Sitzung machten die Unterzeichner der "Hamburger Erklärung" für die Einheitsschule Front gegen das Zwei-Säulen-Modell: "Wir warnen die Parteien vor dem faulen Kompromiss des Zwei-Säulen-Modells, das die soziale Auslese des Schulsystems fortschreiben würde." Zu den Unterzeichnern gehören die GAL-Fraktionschefin Christa Goetsch und auch die SPD-Abgeordnete Sabine Boeddinghaus.

Um es nicht zum großen Knall kommen zu lassen, lavieren die Sozialdemokraten herum. Das Schlagwort von der "regionalisierten Schulentwicklungsplanung" macht die Runde. Es ist so unbestimmt, dass jeder sich darunter vorstellt, was er will. Natürlich sind die Ausgangslagen in den Stadtteilen unterschiedlich. Folglich werden sich unterschiedliche Kombinationen von Schulen zu Stadtteilschulen zusammenschließen.

Die Gegner des Zwei-Säulen-Modells sind für die regionalisierte Planung, weil sie auf diesem Weg hoffen, auch Gymnasien in das Konzept Stadtteilschule einbinden zu können. Letztlich würden sich die Schulen dann nicht mehr nicht mehr besonders unterscheiden - die Schule für alle wäre da. Doch genau das ist mit der CDU nicht zu machen.

Hamburger Abendblatt, 15. Januar 2007, Seite 12
http://www.abendblatt.de/daten/2007/01/15/669585.html

 

Mehrheit für Stadtteilschule

(gekürzt, ausgewählte Zitate)

„Mit der Zweigliedrigkeit können wir die breite Unterstützung der Eltern erreichen“, sagte der von der SPD benannte Experte Prof. Reiner Lehberger.

Dieter Wunder, SPD-Experte und für das Zwei-Säulen-Modell: Er plädierte für eine große Bandbreite von Stadtteilschulen: „Einige gute Gesamtschulen arbeiten schon heute wie Stadtteilschulen.“

Gerd Lein (SPD, Bürgerschaftsabgeordneter): „Warum kann man die Gymnasien nicht abschaffen? In Klasse 7 besucht nur noch ein Drittel der Schüler ein Gymnasium.“ „Auf unserem Parteitag haben wir uns deutlich gegen das Zwei-Säulen-Modell ausgesprochen.“

„Das Zwei-Säulen-Modell führt in die Sackgasse“, sagte GAL-Fraktionschefin Christa Goetsch. Es bleibe dabei, dass Schüler nach Klasse vier „sortiert“ würden.

Hamburger Abendblatt Sonntags 14. Januar 2007
http://www.abendblatt.de/daten/2007/01/14/669136.html

 

„Die CDU und die SPD wollen in Hamburg gemeinsam das zweigliedrige Schulsystem einführen. Das ist das Ergebnis einer Anhörung in der Enquete-Kommission zur Hamburger Schulentwicklung, wie NDR 90,3 am Sonntag berichtete. Den Plänen zufolge sollen die bisherigen Haupt-, Real- und Gesamtschulen aufgelöst und zu so genannten Stadtteilschulen zusammengefasst werden. Als zweite Schulform soll es nur noch Gymnasien geben. Die GAL befürwortet stattdessen eine Schule für alle Kinder bis zur 9. Klasse.“ (NDR3-Videotext, 14.1.07, Seite 140)

 

Kommt in drei Jahren die Stadtteilschule?

Bis 2010 will Dinges-Dierig das Zwei-Säulen-Modell verwirklicht haben. Haupt- und Realschulen sollen abgeschafft werden.

Von Peter Ulrich Meyer

Die Hamburger CDU macht Ernst mit der Reform der Schulstruktur. Die Bildungsexperten von Partei und Fraktion sowie Bildungssenatorin Alexandra Dinges-Dierig (CDU) haben ein Eckpunktepapier erarbeitet, das sich für das Zwei-Säulen-Modell nach dem Vorbild Sachsens und Thüringens ausspricht.

Kernpunkt des Vorschlags: Alle Haupt- und Realschulen, integrierten Haupt- und Realschulen, integrierten und kooperativen Gesamtschulen schließen sich mit Aufbaugymnasien und beruflichen Gymnasien bis zum Sommer 2010 zu Stadtteilschulen zusammen. "Die konkrete Ausgestaltung wird dabei regional sehr unterschiedlich sein", heißt es in dem Papier.

Daneben existieren die Gymnasien weiter. Allerdings muss sich auch diese Schulform weiterentwickeln. Vor allem soll die Zahl der Wiederholer und Abschulungen verringert werden. Laut CDU-Vorschlag soll ein Wechsel zwischen Gymnasium und Stadtteilschule nur bis zum Ende der sechsten Klasse grundsätzlich möglich sein.

"Zum Ende der Klasse 6 treffen die Schulen die Entscheidung über die weitere Schullaufbahn und übernehmen diesbezüglich eine besondere Verantwortung für ihre Schüler." Die Gymnasien bieten den schnelleren Weg zum Abitur an - bereits nach acht Jahren. Sie sind stärker leistungsorientiert und betonen wissenschaftsorientiertes, eigenständiges Lernen.

Demgegenüber haben die Schüler der Stadtteilschulen mehr Zeit zum Lernen - der Weg zum Abitur dauert neun Jahre. Im Mittelpunkt steht handlungsorientiertes Lernen. Schon in der Sekundarstufe I (Klassen fünf bis zehn) sollen die Schulen frühzeitig eine Arbeits- und Berufsorientierung anbieten. Die erfolgreichen Hauptschulprojekte (z. B. die Praxistage) will die CDU in das neue Modell übernehmen. Nach Klasse 10 sollen der qualifizierte Hauptschulabschluss oder die mittlere Reife abgelegt werden.

Neu ist ein eigenständiger Bildungsgang, der zur Fachhochschulreife (nach Klasse 12) führt. Nach dem Willen der CDU sollen die Schulen mindestens dreizügig sein. Ein weiterer Vorzug: Die Klassengrößen der Stadtteilschulen sollen "deutlich" unter denen der Gymnasien liegen.

Die CDU hält am Elternwahlrecht für die weiterführende Schule fest, will aber als Ergänzung zur Schulempfehlung der Grundschullehrer einen Kompetenztest in Klasse 4 einführen.

Die Enquete-Kommission Bildungspolitik der Bürgerschaft will am Sonnabend das Thema Schulstruktur diskutieren. Unterstützt wird der Vorschlag eines zweigliedrigen Schulsystems von der Handwerkskammer und Wissenschaftlern wie Prof. Klaus Hurrelmann und Prof. Wilfried Bos sowie Teilen der SPD.

 

Hamburger Abendblatt, 12. Januar 2007, Seite 12

http://www.abendblatt.de/daten/2007/01/12/667869.html

 

Dinges-Dierig will "historischen Kompromiss"

Bildungssenatorin Alexandra Dinges-Dierig (CDU) hat SPD und GAL aufgefordert, mit der CDU über einen möglichen "historischen Kompromiss" in der Frage der künftigen Schulstruktur zu verhandeln. "Ich bin fest davon überzeugt, dass man einen solchen Reformschritt am besten gemeinsam erreichen sollte. Das geht nicht nur mit einer CDU-Mehrheit", sagte Dinges-Dierig im Gespräch mit dem Abendblatt. Ein zentraler Punkt sei außerdem, dass die Politik die Eltern vom Zwei-Säulen-Modell überzeugen müsse.

Hamburg habe die große Chance, als erstes westliches Bundesland die jahrzehntelangen ideologischen Grabenkämpfe zwischen den Gesamtschulvertretern und den Anhängern des dreigliedrigen Schulsystems zu überwinden. Es gebe "große Unzufriedenheit" mit dem "wirren, unübersichtlichen Schulsystem", in dem sechs verschiedene Schulformen nebeneinander existierten. "Ich baue auf den Realismus der SPD, weil sich der in der Partei immer durchgesetzt hat, wenn es ernst wurde", sagte die Senatorin mit Blick auf die noch unklare Lage bei den Sozialdemokraten.

Dinges-Dierig ist an dem Zwei-Säulen-Modell besonders wichtig, dass sich Gymnasium und Stadtteilschule "erkennbar unterschiedlich profilieren". Die beiden Angebote müssten "echte Alternativen" für Schüler und Eltern darstellen.

Ein wichtiges Element der Stadtteilschule sei in dieser Hinsicht die stärkere Kooperation von allgemein- und berufsbildenden Schulen. Das zeige sich in der geplanten Integration der beruflichen Gymnasien unter dem Dach der Stadtteilschule. "Wir wollen, dass Berufsschullehrer auch in den Klassen 5 bis 10 eingesetzt werden", sagte Dinges-Dierig. Außerdem soll ein neuer Bildungsgang aufgebaut werden, der nach zwölf Schuljahren an der Stadtteilschule zur Fachhochschulreife führt - erstmalig an einer allgemeinbildenden Schule.

"Die Zeit ist reif. Wir müssen jetzt alle Mut beweisen, um ein verlässliches Bildungssystem zu schaffen." CDU, SPD und GAL könnten sich noch vor der Bürgerschaftswahl Anfang 2008 auf die Reform einigen. "Mein Wunschtraum ist eine gemeinsame Beschlussfassung", sagte die Senatorin.

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Hamburger Abendblatt, 12. Januar 2007, Seite 12

http://www.abendblatt.de/daten/2007/01/12/667752.html

 

 

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