OECD-Studie
Nur 19 Prozent wollen auf eine Hochschule
Deutsche Schüler nicht ehrgeizig?
Experten prangern das dreigliedrige Schulsystem an. Zu viele
Jugendliche würden demotiviert.
Von Marina Küchen
Berlin -
Nur knapp ein Fünftel der 15-Jährigen in
Deutschland rechnen mit einem Hochschulabschluss. Nach der in dieser Woche
vorgestellten OECD-Studie "Bildung auf einen Blick" liegt
Deutschland damit deutlich unter dem Durchschnitt der OECD-Länder. Im Mittel
rechnen nämlich mehr als die Hälfte der 15-Jährigen damit. Die höchsten
Erwartungen hegen die südkoreanischen Jugendlichen: Von ihnen rechnen fast 80
Prozent mit einem Hochschulabschluss. Auch wenn man in Betracht zieht, dass
in Deutschland für eine Reihe von Berufen ein Studium nicht erforderlich ist,
in anderen Ländern dagegen schon, fallen die Unterschiede immer noch sehr
groß aus. Woran liegt es, dass die deutschen Jugendlichen so deutlich weniger
ambitioniert in die Zukunft schauen?
Der Sprecher der OECD in Deutschland,
Matthias Rumpf, sieht den Grund dafür vor allem im dreigliedrigen
Schulsystem. "Die frühe Selektion der Kinder führt dazu, dass viele ein
Studium einfach nicht mehr für sich in Betracht ziehen, selbst wenn sie auf
der Haupt- oder Realschule gute Noten erreichen", sagte er dem
Abendblatt. In vielen Familien herrsche außerdem immer noch die Überzeugung
vor, dass gerade eine Ausbildung im dualen System (die klassische
Berufsausbildung) einen soliden Start ins Berufsleben ermögliche. "Dass
sich auch mit einer solchen Ausbildung im Alter mittlerweile das Risiko der
Arbeitslosigkeit deutlich erhöht hat, vergessen dabei viele", sagte
Rumpf.
Auch der Jugendforscher Klaus Hurrelmann
sieht in der Tradition der deutschen Berufsausbildung einen wichtigen Grund
dafür, dass nur ein kleiner Anteil der Jugendlichen sich ein Studium
vorstellen kann. "In Deutschland denkt die Mehrheit immer noch, eine
praktische Berufsausbildung sei das Beste", sagte er dem Abendblatt.
"Das Studium an sich erscheint langwierig, kompliziert und ausgewählten
Berufsgruppen vorbehalten." Vielleicht müsse es in Deutschland ein
Umdenken geben. "Denn am Ende wird sich die an einer Hochschule gemachte
Ausbildung der rein praxisbezogenen als überlegen erweisen."
Die Vizechefin der Gewerkschaft Erziehung
und Wissenschaft (GEW), Marianne Demmer, macht die frühe Trennung der Kinder
im deutschen Schulsystem für die niedrigen Erwartungen der 15-Jährigen
verantwortlich. "So wird der großen Mehrheit signalisiert, dass sie sich
keine Hoffnungen auf einen Hochschulabschluss machen sollten", sagte
Demmer dem Abendblatt. Demmer, die früher als Hauptschullehrerin gearbeitet
hat, sagte, Haupt- und Realschüler nähmen sich diese Beurteilung sehr zu
Herzen. "In der fünften und sechsten Klasse muss deren Selbstwertgefühl
wieder aufgebaut werden, denn sie empfinden ihre Schulempfehlung als
Makel." Die Schüler seien demotiviert, müssten überzeugt werden, dass
sich das Lernen lohne. "In Bezug auf Bildung herrscht bei uns immer noch
ein vordemokratisches Bewusstsein", kritisierte sie. "Hohe Bildung soll
nur wenigen Auserwählten vorbehalten sein, dabei können wir uns das im
globalen Wettbewerb gar nicht leisten!" Noch ein Grund für die niedrigen
Erwartungen sei der finanzielle Hintergrund. "Viele Familien können es
sich nicht leisten, alle Kinder studieren zu lassen - zumal, wenn
Studiengebühren verlangt werden."
Außerdem hätten unter Umständen viele
Jugendliche heute ein eher negatives Bild von den Universitäten. "Manche
Hochschulen wirken äußerst abweisend nach außen, suggerieren, dass die
Studenten eigentlich alle nicht intelligent genug seien, um die Erwartungen
der Universitäten zu erfüllen", sagte Demmer. Auch Überfüllung und
Studiengebühren wirkten abschreckend.
Ein weiterer Grund dafür, dass die
Jugendlichen eine kürzere Ausbildung anstreben, könnte auch in der
Arbeitsmarktsituation der Eltern liegen. Viele der heute 15-Jährigen erleben,
dass eine Festanstellung eher die Ausnahme ist , und deshalb drängen sie früh
auf den Arbeitsmarkt - obwohl sie aufgrund des sich abzeichnenden Fachkräftemangels
in vielen Branchen deutlich bessere Chancen haben dürften als die Generation
der Eltern. Damit könnte ein Schlüssel zur Lösung des Problems auch in einer
verstärkten Aufklärung der Jugendlichen über die sie erwartenden
Arbeitsmarktchancen und individuellen Möglichkeiten liegen.
Hamburger Abendblatt, 20. September 2007,
http://www.abendblatt.de/daten/2007/09/20/796155.html/rss
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