Aktuelles

Alexander Heinz informiert über die Veranstaltung am 2. Juli 2002 "Was nun - Herr Lange?", gesendet in NDR 90,3 am 3. Juli 2002. Wir dokumentieren zwei seiner Berichte:

Hamburgs Bildungssenator Rudolf Lange hat sich gestern der Kritik von Eltern, Lehrern und Schülern verteidigt. Auf einer Veranstaltung des Elternvereins in der Gesamtschule Winterhude verteidigte Lange die geplanten Kürzungen bei den Lehrerstellen.
Die Vorsitzenden der Eltern-, Lehrer- und SchülerInnenkammer warfen Bildungssenator Rudolf Lange vor, dass er sie bislang nicht ausreichend in seine Politik mit einbezogen habe. Zum Beispiel bei den Kürzungen der Lernmittel ab dem kommenden Schuljahr oder der Einführung des Abiturs nach 12 Jahren. Eltern, Lehrer und Schüler erneuerten in der scharf geführten Diskussion ihre Kritik an der Einsparung von 345 Lehrern. Lange verteidigte sich immer wieder gegen den Vorwurf, nicht für die Priorität des Bildungsbereiches gekämpft zu haben.
O-TON Lange
"Ich bitte Sie doch auch mal etwas fairer umzugehen mit Dingen, die als Erblasten zu tilgen sind. Und dazugehören allein 20 Millionen Euro, die wir erst einmal tilgen müssen. Und wo ich durchgesetzt habe, dass sie nicht aus unserem Haushalt gespart werden müssen, sondern dass die allgemeine Finanzverwaltung, also die Freie und Hansestadt Hamburg das ersetzt".
Lange bestritt vehement, dass die Gesamtschulen abgeschafft werden sollen. Er kündigte sogar an, die integrierte Haupt- und Realschulen als reguläre Schulform gesetzlich zu verankern. Bislang wurden die 16 Schulen als Versuch betrieben. Die integrierte Haupt- und Realschule funktioniert als Gesamtschule im kleinen, die starre Trennung in einen Haupt- und Realschulzweig ist dort aufgehoben.

 

 

 

Alexander Heinz

Seit Wochen steht Hamburgs Bildungssenator Rudolf Lange im Zentrum der Kritik von Eltern, Lehrern und Schülern. Der Hamburger Bildungssenator mute den Schulen ein zu brutales Sparprogramm zu, lautet der Vorwurf. Insbesondere aus den Gesamtschulen kommt die Kritik, denn hier ist die Sparquote mit zehn Prozent am höchsten. Gestern nun stellte sich Bildungssenator Lange den Fragen in der Gesamtschule Winterhude. Eingeladen hatte der Elternverein.
Sparen auf Kosten der Qualität des Unterrichts, mangelnder Dialog mit den Vertretern der Eltern, Lehrer und Schüler, Reformen im Hauruckverfahren wie die dritte Sportstunde ohne zusätzliche Lehrer oder das Abitur nach 12 Jahren. Das war der Tenor der Kritik, den zunächst die Vorsitzenden der Eltern-, Schüler und Lehrerkammer an Bildungssenator Rudolf Lange äußerten. Dieser kam immer wieder auf einen Punkt zurück: Dass er die Haushaltslage, die die Einsparungen nötig mache, nicht zu verantworten habe.
O-TON Lange
"Das macht ja die neue Regierung nicht aus Freude am Streichen. Das können Sie mir wirklich glauben. Ich bin ja nicht angetreten, um in der Bildung irgendwelche Kahlschläge oder welche Vokabeln auch immer benutzt werden, hier durchzuführen. Ich stehe in dem für mich sehr unangenehmen Zwang, dass glauben Sie mir bitte, dass wir auch Beiträge zum Sparen leisten müssen."
Langes Appell um Verständnis – insbesondere jene, die aus den Gesamtschulen stammten, konnte er nicht überzeugen.
O-TON Publikum
Schüler: "Der Grundsatz der Gesamtschule war, in kleinen Lerngruppen zu arbeiten. Wenn ich jetzt sehe, dass ich mit 27 Leuten in einem ersten Kurs lernen soll, dann fasse ich mir doch an den Kopf. Das ist doch keine Gesamtschule mehr."
Mann: "Ich habe gehört, dass Sie an der Führungsakademie der Bundeswehr waren. Mich wundert heute, dass das Heer noch Panzer und dass die Marine noch Schiffe hat. Ich denke, dass die Marine Schiffe hat, hat was mit ihrem Auftrag zu tun. Wann nehmen sie endlich zur Kenntnis, dass Gesamtschule nicht irgendeine Schulform ist, sondern dass Gesamtschule ganz besondere Aufgaben hat."
Rudolf Lange sah sich zu Unrecht gescholten. Er beteuerte, dass er die Gesamtschulen nicht kaputt sparen wolle und dass sie auch mit zehn Prozent weniger Lehrern im Vergleich zu anderen Bundesländern gut ausgestattet seien.
O-TON Lange
"Die Gesamtschule hat bei mir einen sehr hohen Stellenwert. Das wissen auch alle Beteiligten." Die schmerzhaften Einschnitte bei den Gesamtschulen fielen ihm nicht leicht, seien aber auf einen Koalitionsbeschluss zurückzuführen, sagte der Bildungssenator. Unglaube bei der Lehrerkammervorsitzenden Margarete Eisele-Becker:
O-TON Eisele Becker
"Sie handeln anders, als Sie reden. Das ist ein echtes Problem."
Zweieinhalb Stunden wurde heiß diskutiert. Am Ende ging man in dem Bewusstsein auseinander, dass der Streit um das Hamburger Schulwesen wohl weitergeht - nach den Sommerferien.

 

Hamburger Morgenpost, Mittwoch, 3. Juli 2002

LANGE IM KREUZVERHÖR

Schulsenator auf Podiumsdiskussion wegen Bildungspolitik unter Dauerbeschuss
Einer gegen alle. Schulsenator Rudolf Lange stellte sich gestern Abend auf einer Podiumsdiskussion in der Gesamtschule Winterhude den Fragen von etwa 300 Eltern, Lehrern und Schülern. Das Ergebnis war für beide Seiten ernüchternd. " Lange steht für Selektion statt Integration. Ich habe Sorge um den sozialen Frieden in unserer Stadt", resümierte Karen Medrow-Struß, Vorsitzende des Elternvereins. " Ich habe an diesem Abend direkt gehört, was ich bereits vorher wusste. Die Sparmaßnahmen sind ein Senatsbeschluss ", lautete das Fazit des Schulsenators.
Die Diskussion wurde von Anfang scharf geführt. " Sie haben ihre Entscheidungen im Hauruck-Verfahren gefällt. Etwa die dritte Sportstunde, dass nicht alle Referendare übernommen werden, die Einsparungen bei Gesamtschulen. Sie haben keinen Dialog gesucht. Wir sind entsetzt", so Sabine Boeddinghaus vom Elternverein. " Mir gefallen viele Sachen auch nicht", konterte Schulsenator Rudolf Lange. Schließlich habe der neue Senat vom alten eine hohe Schuldenlast geerbt. " Das macht die Regierung nicht aus Spaß am Streichen. Ich bitte Sie, glauben Sie mir, ich stehe unter dem unangenehmen Zwang zu sparen."

" ICH GLAUBE; LANGE HAT NICHT VERSTANDEN; WAS GESAMTSCHULE IST"
Karen Medrow-Struß, Elternverein

Zentrales Thema waren die massiven Kürzungen bei den Gesamtschulen. " Diese Schulform sorgt dafür, dass viel mehr Kinder einen höheren Schulabschluss bekommen ", appellierte ein Vater. " Ihre Sparmaßnahmen sorgen für Elitenbildung. Sie sind ideologisch geprägt." Lange:" Das ist nicht wahr. Ich bin mir um die integrative Bedeutung der Gesamtschulen durchaus bewusst."
Zwischendrin übergaben Vertreter verschiedener Hamburger Gesamtschulen Unterschriftslisten gegen die Sparmaßnahmen. Unter anderem Eltern von der Julius-Leber-Schule. Sie hatten 700 Unterschriften auf einer 40 Meter langen Rolle gesammelt. " Ich habe einen 16-jährigen Sohn auf dieser Schule ", sagte Karin Lorenzen ( 48 ). " Ich hoffe, Herrn Lange überzeugen zu können." Konnte sie nicht. Immerhin: Die Unterschriften sammelte er wie auf einem Gabentisch hinter sich.
" Bei Bildung handelt es sich um eine Investition in die Zukunft. Da darf man nicht sparen." Detailliert mochte der Schulsenator die Einsparungen nicht erläutern. Immer wieder berief er sich auf den Senatsbeschluss. Dass er sich es anders wünschte, war ihm anzusehen. Das fand auch Sabine Boeddinghaus vom Elterverein. Den Betroffenen hilfts freilich nicht.
Sascha Balasko

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