Presseschau im November 2002

 

http://www.abendblatt.de/daten/2002/11/05/89103.html

SPD-Kurs kritisiert

Die Regierungsfraktionen haben den Kurswechsel der SPD-Opposition in der Bildungspolitik als unglaubwürdig abgelehnt. "Die Beschlüsse des SPD-Parteitages sind an Peinlichkeit nicht zu überbieten", sagte der FDP-Vorsitzende Reinhard Soltau (61). Die SPD habe Jahrzehnte Zeit gehabt, um die Hamburger Schulen an die Spitze zu führen. "Für wie dumm hält die SPD die Wähler? Die Versprechungen kann die Partei auf Grund der von ihr zu verantwortenden katastrophalen Haushaltslage nie erfüllen." Katrin Freund (35), Bildungsexpertin der Schill-Bürgerschaftsfraktion, nannte die Vorschläge einen "ungedeckten Scheck der SPD". pum
erschienen am 5. Nov 2002 in Hamburg


http://www.abendblatt.de/daten/2002/11/05/89102.html

Zu viele Studienanfänger

Die Uni Hamburg hat im Fachbereich Erziehungswissenschaften 75 Studienanfänger zu viel für das Wintersemester 2002/03 angenommen. Einzelheiten der Überbuchung ergeben sich aus der Antwort des Senats auf eine Anfrage des Bürger-schaftsabgeordneten Wolfgang Beuß (48). Die Universität habe hier ein Problem geschaffen, das sie auch selbst lösen müsse, erklärte der CDU-Politiker unter Hinweis auf die Hochschulautonomie. rup
erschienen am 5. Nov 2002 in Hamburg


http://www.abendblatt.de/daten/2002/11/05/89054.html

Ministerin will neues Schulfach "Familienkunde"

Hamburg - Bundesfamilienministerin Renate Schmidt (SPD) hat die Einführung eines Schulfachs "Familienkunde" gefordert. Erziehung zu Partnerschaft und Familie müsse auch im Klassenzimmer stattfinden, weil manche Eltern dieser Aufgabe nicht nachkämen, sagte sie der "Bildwoche".
KNA

erschienen am 5. Nov 2002 in Politik


http://www.welt.de/daten/2002/11/05/1105fo366547.htx
Illusionen der Bildungspolitik
Leitartikel
Von Konrad Adam

Die OECD hat Daten gesammelt. Sie hat gerechnet und verglichen, und das Ergebnis ist eindeutig. Ein Studium ist hoch rentierlich, nicht nur für die Gesellschaft insgesamt, die von der Leistungsfähigkeit und Leistungswilligkeit ihrer Mitglieder lebt, sondern auch für den Einzelnen. Wer studiert hat, findet schneller eine auskömmliche Beschäftigung, bezieht ein höheres Einkommen und wird seltener arbeitslos als der Durchschnitt. Über die Lebenszeit gerechnet, verzinst sich der finanzielle Aufwand, den ein Studium verlangt, mit acht bis neun Prozent: erheblich höher also als jede andere Form der Geldanlage.

Auf diesen Befund zu reagieren, fällt in Deutschland allerdings schwer. Die Antwort hieße ja, Abschied zu nehmen vom Gewohnheitsunrecht des kostenlosen Hochschulbesuchs: Studiengebühren also. Umsonst, wie es die Umgangssprache hässlich, aber treffend nennt, umsonst ist das Studium ja nur für den Begünstigten selbst. Die recht erheblichen Kosten, die ein Studienplatz verursacht - im Durchschnitt rund 7 000 Euro im Jahr, in einzelnen Fächern wie der Medizin jedoch viel mehr - bleiben bei den anderen hängen, der Masse der Steuerzahler. Und weil in Deutschland die Umverteilung, auch die von unten nach oben, als sozial gilt, wird diese Form der Hochschulfinanzierung von Edelgard Bulmahn, der Bundesbildungsministerin, aus sozialen Gründen verteidigt.
Das mochte schon Karl Marx nicht einsehen. Der nämlich fand es weder sozial noch gerecht, dass die höheren Einkommensklassen ihre Erziehungs- und Ausbildungskosten "aus dem allgemeinen Steuersäckel bestreiten". Aber schon damals, vor mehr als hundert Jahren, sind er und Friedrich Engels mit ihrer Kritik am Gothaer Programm bei den Sozialdemokraten schlecht angekommen. Für die ist Steuerfinanzierung das erste und einzige Mittel ihrer Sozialpolitik, und zwar auch dann, wenn die Geförderten dank solcher Unterstützung in die Lage geraten, der Allgemeinheit einen Teil dessen, was sie erhalten haben, wieder zurückzugeben. Frau Bulmahn möchte das noch immer nicht. Für sie erschöpft sich das Soziale im Nehmen, nicht im Geben.
Studiengebühren, so ihre Litanei seit Jahren, wären dazu angetan, Bedürftige von der Universität fernzuhalten. Natürlich nur, wenn ihnen die Hochschule keine Chance bietet, mit Hilfe von Stipendien oder Darlehen dennoch zu studieren. Kein begabtes Kind darf vom Hochschulbesuch ausgeschlossen werden, nur weil es arme Eltern hat; was allerdings auch nirgendwo geschieht. Die bisher sorgfältigste Untersuchung dieser Frage hat ergeben, dass Gebühren durchaus nicht abschreckend wirken, "auch auf Schulabgänger aus niederen wirtschaftlichen und sozialen Schichten nicht". Das Gegenteil trifft offenbar viel eher zu. Denn in Deutschland, ausgerechnet in Deutschland, einem der wenigen Länder mit kostenfreiem Hochschulbesuch, scheint das Studieren immer noch als Privileg zu gelten. Andere Länder sind sozial weniger selektiv "trotz Studiengebühren", wie Klaus Landfried, der Präsident den Hochschulrektorenkonferenz, beobachtet hat.
Trotz? Oder wegen? "Wegen" wäre wahrscheinlich besser, weil gerade in den unteren Einkommenklassen, wo scharf gerechnet wird, die Alltagsregel, nach der, was nichts kostet, auch nichts wert ist, gut bekannt ist. Doch dadurch lässt sich Frau Bulmahn nicht beirren. Sie hält an einem Zustand fest, in dem ausgerechnet die Schichten, die von einem Hochschulstudium am wenigsten profitieren, zu seiner Finanzierung übermäßig viel beitragen. Der Arbeiter subventioniert den Akademiker, das "Soziale" ist gar nicht sozial. Was PISA für die Schulen ergeben hatte, bestätigt sich auf Hochschulniveau.
Wenn man nach Gründen dafür fragt, ist die banalste Antwort wahrscheinlich die beste. Frau Bulmahn hat den Aufstieg geschafft, aus einfachen Verhältnissen ist sie auf den Flügeln der Partei ziemlich weit nach oben getragen worden. Ihre Gefühle und Überzeugungen scheinen damit aber nicht Schritt gehalten zu haben. Auch als inzwischen Arrivierte bleibt sie, wie Hannah Arendt es einmal ausgedrückt hat, den Idealen der Zukurzgekommenen verpflichtet. Rechte und Pflichten ungleich zu verteilen, scheint sie für ein Gebot der Gerechtigkeit zu halten. Und Reform ist für sie alles, was diesen Zustand zementiert.

Channel: Forum
Ressort: Forum
Erscheinungsdatum: 05. 11. 2002



http://www.welt.de/daten/2002/11/05/1105de366573.htx

Renate Schmidt fordert neues Schulfach "Familienkunde"
Erziehung zu Partnerschaft und Familie soll auch in Schulen stattfinden
Berlin - Bundesfamilienministerin Renate Schmidt hat sich für die Einführung eines Schulfachs Familienkunde ausgesprochen. In einem am Montag veröffentlichten Interview der TV-Zeitschrift "Bildwoche" sagte die SPD-Politikerin, sie plädiere dafür, dass die Erziehung zu Partnerschaft und Familie auch in Schulen stattfinde. Eine solche frühzeitige Erziehung kann nach Ansicht von Schmidt langfristig auch die Scheidungsrate senken. Von der CSU gab es scharfe Kritik an den Plänen.
"Die neue Bundesfamilienministerin plant offensichtlich die staatliche Übernahme der Kindererziehung nach DDR-Vorbild", kommentierte CSU-Generalsekretär Thomas Goppel die Äußerung Schmidts. Flächendeckende Ganztagskindergärten und Ganztagsschulen sollten Erziehung verstaatlichen. "Das kennen wir aus kommunistischen Staaten wie der DDR oder der Sowjetunion - auch die verheerenden Auswirkungen", sagte der CSU-Generalsekretär. Statt staatlicher Kontrolle von Erziehung müsse die Entscheidungsfreiheit der Eltern gestärkt werden, forderte Goppel: "Liebe lernt ein Kind nicht in der Schule unter staatlicher Anleitung, Liebe und Geborgenheit erfahren Kinder mit Eltern und Geschwistern zu Hause." Außerdem sprach sich Schmidt in dem Interview für mehr Einfluss der Familien auf die Politik aus. "Ich plädiere - unabhängig von meinem Amt ausdrücklich als Privatfrau - für ein Wahlrecht von Geburt an, damit Familien ein größeres Stimmrecht haben", forderte sie. Sie sei überzeugt, sie werde die Einführung noch erleben, sagte die 58-Jährige.
AP


Channel: Politik
Ressort: Deutschland
Erscheinungsdatum: 05. 11. 2002



http://www.taz.de/pt/2002/11/05/a0079.nf/text

Familienkunde als Schulfach
HAMBURG ap Bundesfamilienministerin Renate Schmidt hat sich für die Einführung eines Schulfachs Familienkunde ausgesprochen. In einem Interview der TV-Zeitschrift Bildwoche sagte die SPD-Politikerin, sie plädiere dafür, dass die Erziehung zu Partnerschaft und Familie auch in Schulen stattfinde. Eine solche frühzeitige Erziehung kann nach Ansicht von Schmidt langfristig auch die Scheidungsrate senken. Von der CSU gab es scharfe Kritik an den Plänen. "Die neue Bundesfamilienministerin plant offensichtlich die staatliche Übernahme der Kindererziehung nach DDR-Vorbild", kommentierte CSU-Generalsekretär Thomas Goppel die Äußerung Schmidts. Flächendeckende Ganztagskindergärten und -schulen sollten Erziehung verstaatlichen. "Das kennen wir aus kommunistischen Staaten wie der DDR oder der Sowjetunion - auch die verheerenden Auswirkungen", sagte Goppel. Statt staatlicher Kontrolle von Erziehung müsse die Entscheidungsfreiheit der Eltern gestärkt werden, so der CSU-Generalsekretär. Liebe und Geborgenheit lerne ein Kind nicht in der Schule, sondern zu Hause.

taz Nr. 6896 vom 5.11.2002, Seite 7, 38 Agentur


http://www.sueddeutsche.de/aktuell/sz/getArticleSZ.php?artikel=artikel436.php

Klassiker und Körperkultur

In Polen müssen Studenten büffeln und ihre Freizeit ist knapp, doch der bevorstehende EU-Beitritt spornt viele an
Von Thomas Urban

Wir sind nicht Budapest", lautet die lapidare Antwort im Sekretariat der Medizinischen Fakultät der Universität Warschau auf die Frage, ob Studenten aus dem Westen an der Weichsel ihren Doktor machen wollten. Die ungarische Hauptstadt ist längst Geheimtipp beispielsweise für junge Deutsche, die am Numerus Clausus oder an Eingangstest scheitern würden.
Gelehrt wird deshalb auch teilweise auf Englisch. Nicht so in Polen: "Die meisten Westler würden schon an den Aufnahmetests scheitern", heißt es.
Dozenten auch der philologischen oder der mathematischen Fakultät, die Westerfahrung haben, bestätigen dies: Die Anforderungen seien in Polen von Anfang an sehr viel höher als an den meisten Universitäten in den Ländern der Europäischen Union. Die Auslese beginnt bereits mit dem Abitur, das wie etwa in Frankreich, zentral organisiert ist: Die Schüler bekommen alle dieselben Aufgaben, im ganzen Land wird am selben Tag zur selben Stunde geschrieben. Die Presse veröffentlicht am nächsten Tag die Aufgaben – und das ganze Land diskutiert darüber. Das Programm an den Gymnasien läuft auf die Vermittlung von möglichst viel abfragbarem Wissen hinaus; allerdings lernen die Schüler kaum selbstständig arbeiten. Dies ist auch der Grund, warum die jungen Polen bei den Pisa-Tests genauso schlecht wie ihre deutschen Altersgenossen abgeschnitten haben. Wäre allein Wissen gefragt worden, so hätten sie einen Spitzenplatz eingenommen.
Doch mit dem Abitur allein ist es nicht getan. In Polen existiert keine Zentrale zur Vergabe von Studienplätzen. Stattdessen sucht sich jede Fakultät mittels strenger Eingangstests ihre Studenten selbst aus. Dies führt dazu, dass sich viele Abiturienten während der Testphase im Spätsommer gleichzeitig in mehreren Städten bewerben.
Das höchste Ansehen genießen unter Studenten – und deren Eltern – Umfragen zufolge die Jagiellonen-Universität in Krakau, die Warschauer Universität sowie die Katholische Universität Lublin. Dies bedeutet allerdings keineswegs, dass an diesen Universitäten am effektivsten gearbeitet wird. Vielmehr zeichnet sich in Polen wie auch in der Bundesrepublik die Tendenz ab, dass Examina kleiner Universitäten mit einer überschaubaren Anzahl von Studenten in Fachkreisen, auch bei den potenziellen Arbeitgebern, oft höher eingestuft werden als die der traditionsreichen Massenuniversitäten, wie Untersuchungen des Magazins Polityka ergeben haben.
Der aus Wuppertal stammende Linguist Steffen Möller, der seit mehreren Jahren in Warschau vergleichende Sprachwissenschaft lehrt, räumt ein, dass seine Studenten in den ersten Semestern die meisten Arbeitstechniken erst noch lernen müssen, dass sie ihr Studium zwar mit hoher Leistungsbereitschaft, aber in völliger Unselbständigkeit beginnen. "Doch es ist ein unschätzbarer Vorteil, dass sie ein exzellentes Vorwissen haben", sagt Möller. An deutschen Universitäten sei dies bei weitem nicht so.
Im Prinzip ist das Studium weitgehend verschult. Dazu gehören Anwesenheitslisten in den Lehrveranstaltungen ebenso wie über das gesamte Semester verteilte zahlreiche Tests. Manche Professoren lassen sogar Tests über ihre Vorlesungen schreiben, die Studienordnung erlaubt es ihnen. Das Fachstudium ist viel breiter gefächert als in der Bundesrepublik. Wer Jura oder Wirtschaftswissenschaften studiert, muss auch Pflichtveranstaltungen in Geschichte und Philosophie belegen. Fast sämtliche philologische Studiengänge setzen außerdem das große Latinum voraus.
Mathematiker und Physiker müssen Englischkurse bestehen, fast alle Nicht-Philologen müssen eine Fremdsprache als Nebenfach belegen; meist ist dies eben Englisch. Viele lernen eine weitere Fremdsprache, um ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen. Besonders hoch im Kurs steht Deutsch, die Sprache des wichtigsten Handelspartners. Auch Russisch, die zu Zeiten der Parteiherrschaft verhasste Pflichtsprache, wird immer häufiger gewählt. Noch vor einem Jahrzehnt verlor sich nur eine Handvoll Studenten in den Russischkursen für Hörer aller Fakultäten.
Pflicht für alle ist außerdem Polnisch. Das heißt, auch der angehende Arzt oder Mathematiker befasst sich noch einmal mit den Klassikern der polnischen Literatur. Obligatorisch ist außerdem Sport, ein Überbleibsel der Idee der kollektiven Körperkultur im Sozialismus. Auch die Studentin der Theaterwissenschaften oder der Student der Biologie müssen sich die Teilnahme an den Trainingsstunden in einem Verein bescheinigen lassen, immerhin ist die Auswahl der Sportart frei.

Elterngeld statt Jobs
Alle diese Pflichtfächer neben dem eigentlichen Hauptstudium führen dazu, dass die Freizeit eines Studenten minimal ist, somit auch die Zeit für Nebenjobs. Ohnehin sind Jobs rar. Da in Polen die Arbeitslosigkeit bereits 18 Prozent erreicht, die Arbeitslosenhilfe aber minimal ist, werden auch schlecht bezahlte Jobs von gewöhnlichen Arbeitnehmern erledigt. Die meisten Studenten leben von den Zuwendungen ihrer Eltern. Etwa ein Drittel bekommt Stipendien. Diese sind strikt leistungsabhängig. Wer ein Seminar oder ein Examen versiebt, spürt dies unmittelbar im Geldbeutel. Und wer nicht zügig studiert, wird sogar zur Kasse gebeten: Vom sechsten Studienjahr an fallen Gebühren an, die sich mit jedem weiteren Semester über der Regelstudienzeit erhöhen.

Polen wäre also ein Paradies für manchen bundesdeutschen Bildungs- und Finanzpolitiker, zumal da es gegen diese harten Studienbedingungen keinen Protest, schon gar keinen Aufruhr gibt. Vielmehr sind sich die Studenten der Tatsache bewusst, dass sie im Gegensatz zu ihren Eltern, deren Zukunft vielfach von Bescheinigungen irgendwelcher Parteifunktionäre abhing, ihr Leben selbst bestimmen können.

Für viele ist der bevorstehende Beitritt Polens zur Europäischen Union weiterer Ansporn: Es ergeben sich nämlich Karriereperspektiven, die früher völlig unmöglich erschienen. "Fit für Europa" lautet an vielen Fakultäten die Devise. Die leistungsbereiten jungen Polen werden also eine ernsthafte Konkurrenz für die karrierebewusste junge Generation in den EU-Ländern sein.

Der Alltagsstress scheint aber kaum auf die Stimmung zu drücken. Möller hat festgestellt: "Es gibt hier noch ein richtiges Studentenleben wie zu Zeiten unserer Eltern." Dazu trägt das Kurssystem bei, in dem die Studenten einer Gruppe wie in der Schule mehrere Jahre hinweg zusammenbleiben. Dazu gehört auch der jährliche Kabarettabend jedes Kurses – in der Bundesrepublik eine längst ausgestorbene Art, das Zusammengehörigkeitsgefühl zu pflegen. Möller sagt: "Die Leute halten zusammen und spornen sich gegenseitig an."



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Arm, aber angesehen

Warum deutsche Wissenschaftler trotz miserabler Bezahlung an einer polnischen Hochschule arbeiten

Ein Professor an der Vorzeige-Universität in Warschau verdient im Durchschnitt 900 Euro, promovierte Dozenten geben sich mit einem Drittel dessen zufrieden. Dennoch ziehen polnische Hochschulen gerade Geisteswissenschaftler aus Deutschland an. Nicht nur in der Hauptstadt, auch in Oppeln, Allenstein oder Breslau trifft man auf deutsche Germanisten, Politikwissenschaftler und Philosophen. Offizielle Angaben fehlen, aber insgesamt dürfte ihre Zahl an die Hundert gehen.

Dafür gibt es eine einfache und eine komplizierte Erklärung: die Situation auf dem deutschen Wissenschafts-Markt und der Reiz, den das östliche Nachbarland ausübt. Bei vielen stammt die Polen-Begeisterung noch aus der Zeit der Solidarnosc-Bewegung und sie geht so weit, dass die meisten der deutschen Emigranten inzwischen polnische Partner haben.

Birgit Sekulski zum Beispiel wollte sich nicht in die Karriereschablone des deutschen akademischen Betriebs fügen. Nach ihrer Promotion in Leipzig arbeitete die Linguistin sieben Jahre lang in der Presseabteilung einer Rentenversicherung. Als sie sich unterfordert fühlte, ging sie als Lektorin des Deutschen Akademischen Austausch-Dienstes (DAAD) nach Warschau, um polnische Germanistik-Studenten zu unterrichten. An eine Rückkehr in die Bahnen der deutschen Hochschulkarriere war nicht mehr zu denken: "Die sieben Jahre holt man nicht mehr auf", sagt die 43-Jährige, zumal der Stellenmarkt für Geisteswissenschaftler in den letzten Jahren immer schlechter wurde.
Nun habilitiert sich Sekulski in Warschau, über ein deutsch-polnisches Thema: Ausdrücke für das Trinken in den beiden Sprachen. Angestellt ist sie als Mitarbeiterin, als "adiunkt" mit einem Gehalt von etwa 350 Euro. Weil man davon auch in Warschau nicht leben kann, arbeitet sie zusätzlich auf einer halbe Stelle an der Verwaltungshochschule, macht Übersetzungen und hat an einigen Lehrbüchern mitgeschrieben. Sie ernährt davon nicht nur sich, sondern auch ihre beiden Kinder und den Mann. Denn der ist Polonist und Schriftsteller, was, wie sie sagt, "so viel heißt wie: er verdient nichts."
Willi Huntemann am Germanistischen Institut in Thorn dachte auch, sein DAAD-Lektorat in Krakau würde zuhause als wertvolle Auslandserfahrung zählen. Aber nach den drei Jahren in Polen gab es für ihn keine Stelle mehr an seiner Universität in Göttingen. Um überhaupt habilitieren zu können, wurde Huntemann "adiunkt" in Thorn, mit einem Gehalt von 300 Euro. Für Nebenjobs findet er nun, in der Schlussphase seiner Habilitation, keine Zeit mehr.
Dass die Situation für Geisteswissenschaftler in Deutschland alles andere als rosig ist, ist kein Geheimnis. Der Mittelbau wird ausgedünnt, ein gesichertes Einkommen verspricht allein die Berufung auf einen Lehrstuhl – aber die kommt einem Sechser im Lotto gleich. In der Germanistik etwa bewerben sich auf eine Stelle regelmäßig um die 100 Wissenschaftler. Ihr Durchschnittsalter ist 42, die Chancen für einen Berufswechsel sind also gering.
Und die Zahl der Habilitationen und Promotionen steigt weiter. Sie hat sich in den Geisteswissenschaften in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt. Der DAAD bekennt in einer Studie von 1997, dass die Mehrzahl seiner Lektoren nach ihrer Rückkehr in Deutschland keine Stelle haben. Er gewährt deshalb inzwischen ein "Rückgliederungsstipendium". Der Germanist Matthias Grimmberg, der sich in Posen habilitieren möchte, kommentiert das Engagement deutscher Wissenschaftler in Polen treffend: "Man könnte es sich einfach machen und in Deutschland Sozialhilfe beziehen."
Dennoch wollen viele der akademischen Polen-Emigranten ihre Wahl nicht als Flucht verstanden wissen. "In Deutschland steht Selbstentfaltung im Mittelpunkt, hier die Autonomie der Wissenschaft", sagt Steffen Huber, der am Philosophischen Institut der Krakauer Universität promoviert. Die deutsche Philosophie sei eine geschlossene, in einer Metasprache betriebene Veranstaltung. In Polen gehe es noch um Fragen, die das Leben aufwirft, wie: Was ist Freiheit? Was ist nationale Identität? "Hochgezüchtetes Spezialistentum" lautet der häufigste fachliche Vorwurf
aus Polen an die Adresse deutscher Hochschulen. Trotz des geringen Gehaltes: In Polen genießen Geisteswissenschaftler noch Achtung. Keine Diskussion über gesellschaftliche Themen kommt ohne einen Soziologen, Historiker oder sogar Philosophieprofessor aus. Das Phänomen erklärt sich noch aus der Zeit bis 1914, in der das Land geteilt war: Über 140 Jahre existierte es nur in den Köpfen derer, die seine geistige Kultur bewahrten und entwickelten. Und nicht wenige sehen die Epoche der sowjetischen Hegemonie mit denselben Augen.
"Man begreift hier die historische Chance, normale Verhältnisse herzu stellen", sagt der Historiker Ralf Schattkowsky, maßgeblich beteiligt am Aufbau des Lehrstuhls für internationale Beziehungen in Thorn. Der Drang nach Bildung ist tatsächlich enorm: An den Hochschulen sind 1,65 Millionen Studenten eingeschrieben, viermal so viele wie noch vor zehn Jahren. In der Germanistik bewerben sich im Durchschnitt vier Abiturienten auf einen Studienplatz. Damit schließt Polen aber nur langsam an europäische Standards an – nach dem Sturz des kommunistischen Regimes besaßen hier nur 6,5 Prozent der Bevölkerung eine Hochschulausbildung.
Florian Kellermann



http://www.sueddeutsche.de/aktuell/sz/getArticleSZ.php?artikel=artikel438.php

Gebühren vor Gericht

Studenten legen Verfassungsklage ein
Auf nach Karlsruhe: Das Bundesverfassungsgericht hat für den heutigen Dienstag die Verhandlung über die in Baden-Württemberg 1997 eingeführten Rückmeldegebühren angesetzt. Seither müssen Studenten pro Semester 51,13 Euro für die Einschreibung bezahlen. Dies stelle, sagte ein Studentenvertreter der Universität Freiburg, "gemeinsam mit den Langzeitgebühren den ersten Versuch dar, nach der Hochschulreform in den 70er Jahren Studiengebühren wieder einzuführen." Das Verwaltungsgericht Mannheim hatte die Klagen verschiedener Studenten gegen die Gebühren allerdings aus anderen Gründen an die Verfassungsrichter weiter gereicht: Die Gebühr stehe in einem krassen Missverhältnis zum tatsächlichen Verwaltungsaufwand bei der Rückmeldung, der vom Landesrechnungshof mit ganzen 4,26 Euro berechnet wurde. Wegen der Mannheimer Entscheidung setzte die Landesregierung die Gebühren seit Ende 1998 aus, will sie aber bei einem entsprechenden Urteil bei allen seither eingeschriebenen Studenten nachfordern.



http://www.sueddeutsche.de/aktuell/sz/getArticleSZ.php?artikel=artikel439.php

Neue Medien für alle

Sozialer Hintergrund muss nicht hemmen
Wenn Schulen aktiv die Integration neuer Medien in den Unterricht fördern, können auch soziale Nachteile wettgemacht werden. Bertelsmann-Stiftung und Heinz-Nixdorf-Stiftung haben jetzt in einer gemeinsamen internationalen Studie nachgewiesen, dass sozialer Hintergrund und Medienkompetenz nicht zwangsläufig zusammen hängen. So gibt es etwa in Australien, Großbritannien und den USA Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit und niedrigem Durchschnittseinkommen, in denen jedoch die Schüler dank spezifischer Förderung genauso gut oder sogar besser mit dem Computer umgehen können wie Altersgenossen aus einer Vergleichsgruppe. Der Schlüssel, so die Autoren der Studie, liege einerseits im günstigen Schüler-PC-Verhältnis von sechs zu eins und
andererseits in der Tatsache, dass die neuen Medien mindestens eine Stunde pro Tag im Unterricht genutzt würden. In Deutschland, so die Studie, seien die Bedingungen in München und Leverkusen am besten, doch selbst diese Spitzenreiter lägen im internationalen Vergleich hinten. Auch die letzten Montag veröffentlichte OECD-Bildungsstudie sieht deutsche Schulen bei der Ausstattung mit und Nutzung von Computern am unteren Ende der Rangliste.
himm





http://www.sueddeutsche.de/aktuell/sz/getArticleSZ.php?artikel=artikel440.php


Das Programm

Informatik für Lehrer und Schüler
Als erste Hochschule Bayerns hat die Technische Universität (TU) München eine Professur "Didaktik der Informatik" eingerichtet. Zwar gibt es in anderen Bundesländern bereits solche Lehrstühle, doch Bayern will von 2004 an Informatik als Pflichtfach – jeweils zwei Stunden ab der 6. Klasse – an allen weiterführenden Schulen verlangen. "Informatik schafft eine neue Art und Weise, sich mit Dingen auseinander zu setzen, insbesondere auf der Ebene, die für die Schule besonders wichtig ist: etwa Erfassen von Zusammenhängen, Problemlösen, Strukturieren und Darstellen", sagt Manfred Broy vom Institut für Informatik der TU.
Weniger als Schüler auf das Informatikstudium vorzubereiten, geht es darum, dass sie einschätzen können, was die Technik leistet und auf welchen Grundlagen und Konzepten sie beruht. "Die Kinder lernen in Daten- und nicht in Softwarestrukturen zu denken. Denn eine Software ist bereits nach zwei Jahren veraltet. Sie sollen hinter das Produkt schauen können und erkennen, wie Texte, Grafiken oder Hypertexte strukturiert sind. Das sind Kenntnisse, die man auf alle Werkzeuge übertragen kann", sagt Peter Hubwieser, Inhaber des neuen Lehrstuhls.
Hubwieser, der selbst Lehrer war, schreckt auch nicht, dass er es mit der "Gameboy"-Generation zu tun hat. Von den zahlreichen Schulversuchen, die der Planung des neuen Schulfaches voraus gegangen sind, kann er nur Positives berichten: "Die Kinder waren so begeistert, dass sie am Freitagnachmittag den Computerraum nicht verlassen wollten." Hubwieser soll künftigen Informatik- Lehrern das richtige Handwerkszeug in die Hand geben und Pädagogen, die bereits im Beruf stehen, für das Fach qualifizieren. Dabei hat er nicht nur weiterführende, sondern auch Berufsschulen im Blick. "Zurzeit", so sein Urteil, "bestehen dort einige Defizite. Der Lehrplan stand nämlich, bevor man die Leute ausgebildet hat. Es fehlen Unterrichtsmodelle, Ideen, Konzepte."
Nun bietet die TU seit diesem Wintersemester erstmals Lehramtsstudiengänge mit der Fächerkombination Informatik/Mathematik und Informatik/Physik an. Und das bayerische Kultusministerium prophezeit den angehenden Studenten hervorragende Berufschancen. Hubwieser und seine Kollegen wissen aber, dass sie das grundlegende Problem des Lehrermangels auch nicht lösen können.

Evdoxia Tsakiridou



http://www.sueddeutsche.de/aktuell/sz/getArticleSZ.php?artikel=artikel441.php

"Wir investieren in Bildung"
Das haben wir Politiker nach Pisa versprochen. Seither warten die Bürger naiv auf Verbesserungen im Bildungswesen. Vorwurfsvoll beanstanden sie, dass zu wenig Geld in die Schulen fließt. Wo aber steht, dass Investitionen Geld kosten müssen?
Wir Politiker mobilisieren menschliche Ressourcen, das ist unmittelbarer und wesentlich billiger. Tausende Rentner sitzen daheim und kraulen gelangweilt ihre Dackel. Wissen nicht, wohin mit ihrer Energie und Lebenserfahrung. Ab in die Schulen! Dort können sie Hausaufgaben betreuen, den Geschichts-, Erdkunde- und Musikunterricht bereichern und mit den lieben Kleinen basteln. Ehrenamtlich natürlich. Denn kosten darf Bildung nichts. Zunächst setzen wir die Rentner nur zur Nachmittagsbetreuung ein, später kleine Aufwandsentschädigung) durchaus auch im regulären Unterricht verwenden. Wir benötigen dadurch weniger Lehrer und können für das Geld Bankbürgschaften übernehmen, den Spitzensteuersatz senken und schöne neue Panzer kaufen. Dann sehen wir uns mal bei den frühpensionierten Lehrern um. Da könnte man einige noch mal beim Gesundheitsamt vorführen. Die Amtsärzte bekommen eine nette Provision für die erfolgreiche Rückführung von Berufsflüchtigen in den Schuldienst. Dort gibt es natürlich nur die gekürzte Frührente, nicht etwa volle Bezüge. Seit Pisa wissen wir, dass die Lehrerausbildung schlecht und teuer ist und die meisten Schüler ohnehin kaum auf die Pädagogen hören. Deshalb aktivieren wir alles, was laufen, zählen und buchstabieren kann. Die ersten Quereinsteiger (ehemalige Versicherungsagenten, Matrosen, Scherenschleifer und Masseure) bereiten sich gerade auf das Lehramt vor. Eigene Schulerfahrung können sie alle vorweisen, und das bisschen Wissen über Pädagogik eignet man sich im (selbstverständlich verkürzten) Referendariat ganz nebenbei und mühelos an. Die "Frischlinge" aus anderen Berufen haben etwa in Niedersachsen den erfreulichen Altersdurchschnitt von 47 Jahren. Wir brauchen schließlich an unseren Schulen unverbrauchte Kräfte mit neuen Ideen und jugendlichem Elan. Diese Umschulungen kosten zwar auch Geld, aber längst nicht so viel wie ein herkömmliches Lehramtsstudium. Und: Wer später Lehrer wird, bekommt auch weniger Pension. Wir investieren in die Bildung, indem wir die Lehrerarbeitszeit weiter erhöhen. Da schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe: Zum einen sind die Wähler entzückt. Den ungeliebten Lehrern gönnt man von Herzen, dass sie mal richtig rangenommen werden. Zum anderen sparen wir jede Menge Neueinstellungen. Und die Lehrer, alt und resigniert, wie sie sind (Altersdurchschnitt in Berlin: 47 Jahre), wehren sich ohnehin kaum noch. Wir tun also wirklich etwas für die Bildung. Mit genialen Innovationen bringen wir wieder Glanz und Schwung in unsere Schulen. Deutschland kann getrost in die Zukunft blicken!

Gabriele Frydrych

Die Autorin ist Studienrätin

in Berlin.



http://www.sueddeutsche.de/aktuell/sz/getArticleSZ.php?artikel=artikel442.php

Online-Hilfe

Fünf-Wochen-Training für Erstsemester
Viele Studienanfänger finden sich nur schwer an der Hochschule zurecht. Sie wissen nicht, wie man ein Referat hält oder Literatur recherchiert. Manche seien gar "unfähig, einer Vorlesung zu folgen", meint Henner Hentze, Wirtschaftsprofessor an der Fachhochschule Münster. Er hat ein Online-Lernprogramm entwickelt, mit dem sich das Studieren lernen lässt. Innerhalb von fünf Wochen werden Erstsemester fit gemacht für die Uni. Ausgehend von praktischen Problemen wird ihnen erklärt, wie man bei einer Vorlesung mitschreibt, sich auf Prüfungen vorbereitet und wissenschaftliche Texte besser versteht. Ein "Erste Hilfe"-Kasten gibt Ratschläge bei Prüfungsangst oder Schreibhemmungen. Für Wirtschaftsstudenten der FH ist das Angebot kostenlos, andere zahlen 23 Euro. Infos:
www.studieren-lernen.de .

maris





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Frühe Scheine
Saarlands Schüler können richtig studieren
Schnupperstudien sind mittlerweile zahlreich, bundesweit einmalig ist allerdings das Modell der Uni Saarbrücken. Dort können mit Beginn des Wintersemesters 2002/03 Oberstufenschüler parallel zur 12. und 13. Klasse Scheine erwerben und bis zu zwei Semester Studienzeit sparen. Das Juniorstudium richtet sich an leistungsstarke und motivierte Schülerinnen und Schüler mit besonderem Interesse an Natur- oder Ingenieurwissenschaften. Voraussetzung für die Aufnahme sind sehr gute Leistungen in der Mehrzahl der Unterrichtsfächer. Infos unter
www.juniorstudium.de.




http://www.sueddeutsche.de/aktuell/sz/getArticleSZ.php?artikel=artikel383.php

"Wir sind noch in der Experimentierphase"
Momo und Mehmet im Buchstabensalat
Seit zwei Monaten unterrichtet die Augsburger Löweneck-Schule fremdsprachige Schüler mit neuen Methoden
Von Marten Rolff

Augsburg – Der Mund von Monika Trier ist gespitzt und zum Kreis geformt. "Oooma", spricht die Grundschullehrerin so langsam und betont wie möglich vor; nur um beide Silben gleich zu wiederholen: "Oooma". Vor ihr sitzen zehn Erstklässler, die Augen konzentriert geschlossen. Zögernd hebt einer nach dem anderen die Arme über den Kopf. Als Trier "Dooose" sagt, wandern die meisten der zehn kleinen Armpaare unsicher bis auf Schultisch-Höhe. Die Kinder sollen heraus hören, ob der gerade gelernte Vokal "O" am Anfang, in der Mitte oder am Ende eines Wortes steht und dann die Position anzeigen. Für viele noch Buchstabensalat. Die Art des Förderunterrichts ist neu an der Löweneck-Grundschule. Die Schüler bilden eine der 94 Sprachlernklassen, die das Kultusministerium als Reaktion auf die Pisa-Studie eingerichtet hat. Ziel ist die verbesserte Integration fremdsprachiger Kinder in den Regelunterricht.
Die Schüler tragen Namen wie Ayben, Ahmet oder Francesca und sprechen so verschiedene Sprachen wie Türkisch, Hindi oder Italienisch. Im Deutschunterricht haben sie nach sieben Wochen drei Buchstaben lesen und schreiben gelernt: das "M", das "O" und das "I". Genug, um kleine Geschichten um die Fibelfiguren Momo, Mimi und die Schnecke Imi zu bilden. Nach dem so genannten "Momo-Lesegang", der speziell für Übergangsklassen entwickelt wurde, lernen auch die übrigen 15 Kinder der Klasse 1c. Wenn auch schneller: Laut Schultest sprechen sie genügend Deutsch für den Regelunterricht. Sie sind im Raum nebenan untergebracht. Fächer wie Sport, oder Sachkunde haben alle 25 Kinder gemeinsam, 15 Wochenstunden – vor allem Deutsch und Mathe – werden getrennt unterrichtet, Wobei die Türen zwischen den Klassen geöffnet bleiben. "Räumliche Nähe und Zusammengehörigkeitsgefühl sind wichtig", erklärt Schulleiter Bernd Degen. Benachbarte Klassenräume sind eine der zehn Empfehlungen auf einer Liste, die das Ministerium noch eilig zu Schuljahresbeginn auf gerade mal zwei DinA4- Seiten an die beteiligten Grund- und Hauptschulen verteilt hat. Kooperation und paralleler Unterricht, so die Anleitung, seien dabei das Wichtigste. "Wir sind in der Experimentierphase", erzählt Trier. Die Leistungsspanne sei enorm, einige verstünden kaum etwas, andere sprächen schon gut. Ein Schüler hat gerade in die Regelklasse gewechselt, da er besser Deutsch konnte als angenommen. Ein Mädchen, das Probleme hatte dem Regelunterricht zu folgen, hat mit ihm getauscht. Wie nötig eine Sprachlernklasse war, hat Trier feststellen können, als sie alle 25 Kinder übernehmen musste, weil Klassenlehrerin Ulrike Götz-Koppold krank war. Die Sprachlernschüler, sagt Trier, "kamen einfach kaum zu Wort".
Viel Wortschatzarbeit müsse man leisten", erzählen die Lehrerinnen, "es ist ja nichts da". Die Kinder sind nach dem Lehrplan für Deutsch als Zweitsprache im so genannten "Lernfeld 1". Sie sollen Artikulation trainieren, einfachste Sätze wie "Momo mag Mehmet" bilden oder Sprache spielerisch umsetzen, wie beim Buchstaben-Memory. Manchmal sprechen die Kinder Türkisch miteinander. Trier will die Muttersprache "nicht durch
Verbote blockieren"; sonst entwickelten die Kinder insgesamt weniger Sprachgefühl und lernten auch schwerer Deutsch. Durch spielerische Intervention auf Deutsch ist die Pädagogin aber bemüht, "dass Sprachen wie Türkisch in der Klasse eher die Ausnahme bleiben".
Triers Enthusiasmus ist spürbar. Viel Spaß mache ihr das Emotionale, erzählt die Lehrerin, die zuvor Integrationsklassen in Stufe drei und vier geleitet hat. Die Lehrerbindung sei für die meist Sechsjährigen besonders wichtig, zudem ließe sich darüber die deutsche Sprache am besten vermitteln. Als Einzige im Kollegium war Trier bereit, eine solche Klasse zu leiten. Prompt sollte sie schon von Mai an erste Vorbereitungskurse im Kindergarten geben. "Ein exemplarischer Fall", glaubt Schulleiter Degen, und ein Beispiel dafür, wie wenig vorbereitet viele Schulen auf Sprachlernklassen waren.
Er habe beim Vorbereitungstreffen im Kultusministerium zwar "großes Engagement gespürt", sagt Degen. Doch gleich zu Beginn sei das Wort "kostenneutral" gefallen. Der Schulleiter findet, man könne nicht "einfach etwas ins Leben zu rufen, und dann sind wieder keine Sachmittel da". Sie brauche "keine Riesenbeträge", erklärt Trier, aber einige Spiele oder Bücher fielen schon an. "Ein ewiges Betteln", stöhnt die Lehrerin. An die meist finanzschwachen Eltern könne man auch geringe Kosten kaum weitergeben. So muss sie ihre Wünsche jetzt ausschließlich an den mit Anfragen überhäuften Lernmittelausschuss der Schule richten.
Was schulische Eigenverantwortung auch bedeutet, durfte Trier erfahren, als sie gemeinsam mit zwei türkischen Vätern am Wochenende den hinzu gekommenen, aber renovierungsbedürftigen Klassenraum gestrichen hat. "Es macht Spaß", findet Trier, nur dürfe man nie über die Zeitinvestition nachdenken.



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Im Eiltempo in die Integration
Bayern hat mit 94 Sprachlernklassen auf Pisa reagiert – Opposition moniert niedrige Zahl und fehlendes Konzept

Von Christine Burtscheidt
München – Schneller hätte es nicht gehen können. Das schlechte Abschneiden deutscher Schüler beim internationalen Leistungsvergleich Pisa lag noch nicht offiziell vor, schon sann Bayerns Kultusministerin Monika Hohlmeier nach Auswegen aus der deutschen Bildungsmisere. An erster Stelle ihres "Vier-Punkte-Programms" stand dabei die gezielte Sprachförderung ausländischer Kinder. Denn was jüngst erst wieder die OECD-Studie deutlich machte, dass das Defizit des deutschen Schulsystems vor allem in der mangelnden Integration leistungsschwacher Schüler liegt, das hatte bereits Pisa vor einem Jahr ergeben.
Unerwartet rasch ist es dann zur Umsetzung des Konzeptes so genannter Sprachlernklassen gekommen. Zumindest aus Sicht der Opposition, die Hohlmeier nur allzu gerne als bloße Ankündigungsministerin kritisiert. Bereits zu diesem Schuljahr wurden 94 Sprachlernklassen eingerichtet; überwiegend in der ersten Jahrgangsstufe an Grundschulen und in Städten wie München, Nürnberg und Augsburg, wo der Anteil ausländischer Kinder groß ist.
Im Gegensatz zu den bisherigen Übergangsklassen, in denen Schüler, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, häufig gesondert nach einer Nation unterrichtet werden, verfolgt die Sprachlernklasse einen integrativeren Ansatz. Hohlmeier nennt es das "Modul-System": Schüler mit Sprachschwierigkeiten werden regulär in eine Grundschule eingeschult und lediglich in Deutsch, Mathematik, Heimat- und Sachkunde aus dem Klassenverband herausgenommen, um gezielt in kleinen Gruppen gefördert zu werden. 14 bis 17 Wochenstunden sieht das Ministerium dafür vor. Auf maximal zwei Jahre ist die Förderung befristet. Lernen Kinder schneller, können sie auch schon früher am Unterricht der Regelklasse teilnehmen. "Wir wollen keine Ghettoisierung oder ethnische Cliquen-Bildungen", sagt die Ministerin.
Das Konzept ähnelt der Förderung leistungsschwacher Kinder in Finnland. Allerdings setzt es in dem Pisa-Spitzenreiter-Land bereits im Kindergarten an, wo Lehrer eigens zu dieser Aufgabe abgestellt werden. Dass die Sprachlernklassen zu spät ansetzen und die Lehrerstunden dafür aus dem vorhandenen Budget genommen werden müssen, kritisiert die SPD-Fraktion im Landtag. Für "lachhaft" hält die bildungspolitische Sprecherin Marianne Schieder auch die Zahl von "nur" knapp 100 Klassen. Ihre Kollegin von den Grünen, Petra Münzel, ist hingegen skeptisch, ob der Ansatz auch integrativ genug sei. Der Bildungsexperte der CSU-Fraktion, Siegfried Schneider, verteidigt jedoch das Konzept: "Das ist ein völlig neuer Weg. Bevor wir etwas flächendeckend einführen, sollten wir erst einmal sehen, ob es sich bewährt. "



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Die Finnen sind sehr wissbegierig"
Fränkische Schul-Delegation über nordisches Bildungsethos
Die Politiker waren schon da. Nach Pisa pilgerten sie gerne in Länder, die beim Schülervergleich hervorragend abschnitten. Jetzt erkunden auch Lehrer und Schüler die Bildungsparadiese. Gonca Yilmaz und ihr Biologielehrer Michael Schminke haben sich mit einer Gruppe vom Schwabacher Adam-Kraft-Gymnasium in Finnland umgesehen Was ist eigentlich besser dort?
SZ: Ist die Not an bayerischen Schulen so groß, dass Lehrer und Schüler sich selbst in Finnland umschauen müssen?
Schminke: Eigentlich sind wir für ein EU-Schulprojekt hingefahren. Es heißt "Comenius" und hat Klima, Vegetation und Tierleben zwischen Nordkap und Mittelmeer zum Thema. Wir arbeiten daran gemeinsam mit einer sizilianischen Schule und der von Oulu in Finnland.
Yilmaz: Nach der Pisa-Studie sind wir natürlich besonders gespannt hingefahren. Wir wollten die Gelegenheit nutzen und uns im Schulleben dort umgesehen.
SZ: Was haben Sie in Oulu gelernt?
Schminke: Unser Eindruck war sicher ungeschönt. Denn den Wunsch, normalen Unterricht dort mitzuerleben, haben wir erst vor Ort geäußert. Die Finnen haben uns alle Türen bereitwillig geöffnet.
Yilmaz: Ich hatte mir das nie so vorgestellt. Die Schüler dort sind viel disziplinierter als wir. Wenn der Lehrer mal eine halbe Stunde aus dem Klassenzimmer muss, bricht nicht das Chaos aus wie bei uns. Alle bleiben ruhig sitzen und arbeiten diszipliniert weiter. Trotzdem ist die Atmosphäre völlig unverkrampft, gerade zwischen Lehrern und Schülern geht es locker, aber immer mit Respekt zu.
SZ: Also Musterknaben, die Finnen...
Yilmaz: Privat nicht. Die feiern Parties wie wir und trinken auch mal kräftig. Am nächsten Morgen in der Schule sind sie dann ruhig und leistungsorientiert. Alles läuft weniger hektisch ab.
Schminke: Vielleicht ist das eine Mentalitätsfrage. Lehrer dort haben auch nicht mehr Medien zur Verfügung, halten Frontalunterricht ab und haben genau so große Klassen. Der Unterschied: Hier werden Phrasen über den hohen Stellenwert von Bildung gedroschen, in Finnland stimmt das tatsächlich.
SZ: Gehen Jugendliche deshalb dort lieber in die Schule als bei uns?
Yilmaz: Bei uns ist es doch so: Viele empfinden Schule als notwendiges Übel. In Finnland sind die meisten sehr wissbegierig. In meiner Gastfamilie hatte zum Beispiel beim Frühstück schon jeder einen Teil der Tageszeitung in der Hand. Auch am Abend wurde gelesen.
SZ: Liegt der Schlüssel für den finnischen Erfolg in den Familien?
Schminke: Man konzentriert sich dort auf das schulische Kerngeschäft. In Deutschland probieren wir nach dem Pisa-Schock hektisch herum, stellen alles in Frage. Reden vom offenen Unterricht und mehr Freiarbeit. Die Finnen haben sich gewundert, was bei uns alles zur Schule gehört: Theater, Konzerte, Neigungsgruppen. Das gibt es dort kaum.
SZ: Was würden Sie der Kultusministerin nach ihrer Finnland-Reise raten?
Yilmaz: Kleinere Schulen mit mehr Selbständigkeit, so dass jede Schule sich seine besten Lehrer aussuchen kann.
Schminke: Bildung braucht einen höheren Stellenwert in den Familien. Ruhe, Muße, Zeit schaffen und private Räume für Bildung - das kann keine Ministerin verordnen.
Interview: Uwe Ritzer




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Hochschulen lehnen Studiengebühren-Pläne ab
Bildungsexperten machen in Landtags-Anhörung finanzpolitische, administrative und rechtliche Vorbehalte geltend
Von Marco Finetti
Düsseldorf – Die umstrittenen Studiengebühren-Pläne der Landesregierung stoßen auch in der Hochschulpraxis auf Ablehnung und Widerstand. Nach den Studentenprotesten der letzten Monate äußerten am Montag in einer Expertenanhörung im Landtag auch die Hochschulen erhebliche Bedenken gegen das Vorhaben, ab dem Sommersemester Gebühren von 650 Euro pro Semester für Langzeit-, Zweit- und Seniorenstudenten einzuführen und von 2005 an durch Studienkonten zu ersetzen. Kritik kam auch von Bildungsökonomen, Professoren- Verbänden und den Studentenwerken.
In ihren von studentischen Zuhörern immer wieder mit Beifall bedachten Ausführungen stellten mehrere Sachverständige die Gebühren-Pläne bereits grundsätzlich in Frage. "Das so genannte Studienkonten- und - finanzierungsgesetz dient gerade nicht der Studienfinanzierung", sagte der Vorsitzende der Rektorenkonferenz der Fachhochschulen, der Kölner FH-Rektor Joachim Metzner. Wie er kritisierten auch Vertreter der Universitäten, dass die Gebühren-Einnahmen zunächst dem Landesetat und erst von 2006 an den Hochschulen vollständig zu Gute kommen sollen.
Mit derselben Begründung sprachen sich auch Einrichtungen, die ansonsten Studiengebühren befürworten, gegen den Gesetzentwurf der Landesregierung aus. "Die eingenommenen Gelder müssen direkt der Verbesserung der Studienbedingungen zu Gute kommen", forderte Johanna Witte vom Centrum für Hochschulentwicklung (CHE), das von der Hochschulrektorenkonferenz und der Bertelsmann-Stiftung betrieben wird. Der Deutsche Hochschulverband (DHV), der die Interessen der Universitätsprofessoren vertritt, lehnte die Gebühren als "Null-Summen-Spiel" ab, da alle Einnahmen auf die staatlichen Zuwendungen angerechnet würden. "Auch an den zum Teil miserablen Studienbedingungen würden die Gebühren so nichts ändern", unterstrich der DHV-Landesvorsitzende Wolfgang Löwer.
Darüber hinaus machten die Hochschulen erhebliche verwaltungstechnische Bedenken geltend. "Die Einführung der Studiengebühren und -konten ist mit einem äußerst hohen Verwaltungsaufwand verbunden, der mit den jetzigen Verwaltungsstellen nicht zu bewältigen ist", unterstrich der Rektor der Universität Münster, Jürgen Schmidt. Insbesondere die Absicht, die Gebühren bereits vom April an zu erheben, sei "verwaltungstechnisch undurchführbar".
Universitäten und Fachhochschulen, aber auch Juristen wie der Münsteraner Verwaltungsrechtler Wilhelm Achelpöhler äußerten schließlich auch rechtliche Vorbehalte. Die Gebühren-Pläne verletzten den " Vertrauensschutz", da sie auch Studenten träfen, die bei Aufnahme ihres Studiums nicht mit Gebühren zu rechnen gebraucht hätten.
Gerade diese rechtlichen und verwaltungstechnischen Vorbehalte stützen die Kritik, die auch in den rot-grünen Regierungsfraktionen an den Gebühren- Plänen geübt wird. Vor allem die Grünen hatten im Vorfeld der Anhörung erkennen lassen, dass sie nach einem entsprechenden Votum der Sachverständigen auf Änderungen im Gesetzentwurf drängen werden.



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Hintergrund
Über Gebühr kompliziert
Wann Studenten zur Kasse gebeten werden sollen – und wann nicht
Bildungspolitisch kontraproduktiv, koalitionsintern umstritten, juristisch wackelig, fiskalisch unsolide – gegen die Studiengebühren-Pläne der Landesregierung werden zahlreiche Kritikpunkte ins Feld geführt. Vor allem die Hochschulen machen darüber hinaus ein weiteres Manko aus: Der derzeit im Landtag debattierte Gesetzentwurf sei zu unübersichtlich und schaffe erheblichen bürokratischen Aufwand. Die Allgemeinen Studentenausschüsse verzeichnen zahlreiche Anfragen von Studenten und bemängeln eine erhebliche Rechtsunsicherheit.
Tatsächlich sieht der Gebühren-Gesetzentwurf eine Vielzahl von Detailregelungen und Ausnahmefällen vor. Sie beginnen bereits bei den zentralen Bestimmungen: Mit 650 Euro pro Semester sollen ab April 2003 vor allem "Langzeitstudenten" zur Kasse gebeten werden. Politiker und Hochschulen schätzen, dass rund jeder Vierte der knapp 500000 Studenten in NRW dazu zählt.
Doch schon der Begriff "Langzeitstudent" – an dem entlang die Gebühren- Diskussion oft plakativ geführt wird –, ist kompliziert gefasst. Ob ein Student zum Langzeitstudenten wird, richtet sich erstens nach der so genannten Regelstudienzeit seines Studienfaches und zweitens nach der Zahl der Semester, die er diese überschreitet. Gebühren zahlen soll demnach, wer - eine Regelstudienzeit von acht Semestern und mehr um mehr als vier Semester, - eine Regelstudienzeit von weniger als acht Semestern um mehr als drei, - eine Regelstudienzeit von vier oder mehr Semestern um mehr als zwei , - eine Regelstudienzeit von weniger als vier Semester um mehr als ein Semester überschreitet. Die Regelstudienzeiten wiederum bemessen sich an der Art des Studiengangs und dem angestrebten Abschluss: bei den klassischen Diplom- und Magister-Studiengängen beträgt sie zumeist acht Semester und mehr, bei den neuerdings boomenden Bachelor-Studiengängen sechs, bei Master-Studiengängen vier Semester.
Die zahlreichen Ausnahmeregelungen sollen den individuellen Lebenslagen möglichst vieler Studenten Rechnung tragen – und zeigen so erst, wie vielschichtig diese sind. Studenten, die Kinder erziehen oder pflegen, können demnach ebenso länger gebührenfrei studieren wie Studentenvertreter, die im Asta, in Fachschaften oder den Gremien der Hochschulen mitarbeiten. Auch wer aus berufsrechtlichen Gründen ein Doppelstudium absolvieren muss, wie etwa Kieferchirurgen, kann die Regelstudienzeit länger überziehen. Ein Wechsel des Studienfachs in den ersten beiden Semestern wird nicht auf die Regelstudienzeit angerechnet. Erkrankte oder behinderte Studenten können die Ermäßigung oder sogar den Erlass der Gebühren beantragen, auch andere – im Gesetzentwurf nicht konkretisierte – "besondere soziale Lagen" können zu Ermäßigung oder Erlass führen. Wer Bafög erhält, muss zumindest während der Förderungszeit keine Langzeitgebühren zahlen.
Neben den Langzeitstudenten sollen "Zweitstudenten" ihren Obulus entrichten, Hochschüler also, die bereits einen ersten Studienabschluss erworben haben. Ausnahmen bestätigen aber auch hier die Regel. Die wichtigste: Wer nach einem Bachelor ein darauf direkt aufbauendes Master-Studium absolviert, zahlt nicht. Wer ein Zweitstudium aufnimmt, um Lehrer zu werden oder um seine bereits erteilte Lehrerlaubnis um ein Fach zu erweitern, ist ebenfalls von der Gebühr befreit. Das Gleiche gilt für die – noch immer sehr wenigen – Fachhochschul-Absolventen, die auf die Universität wechseln und das gleiche oder ein verwandtes Fach studieren.
Pro Semester 650 Euro zahlen sollen schließlich auch "Seniorenstudenten" ab 60 Jahren. Damit sind jedoch nur Senioren gemeint, die einen vollen akademischen Abschluss machen wollen. Das klassische Seniorenstudium, bei dem ältere Semester Vorlesungen und Seminare im Studium Generale besuchen, ist von den Studiengebühren ausgenommen. Wie bereits bisher werden hier jedoch Gebühren für Gasthörer fällig. Sie richten sich nach der Anzahl und Länge der belegten Veranstaltungen und reichen von 50 bis 125 Euro pro Semester.
Marco Finetti




http://www.frankfurterrundschau.de/fr/101/t101010.htm

Erziehung
Ministerin Schmidt erwägt Schulfach "Familienkunde"
BERLIN, 4. November (dpa/ap). Familienministerin Renate Schmidt (SPD) hat ein neues Schulfach "Familienkunde" angeregt. Erziehung zu Partnerschaft und Familie sollte auch in den Schulen stattfindet und "nicht nur daheim", sagte Schmidt (SPD) der Illustrierten Bildwoche: "Warum klären wir unsere Kinder in der Schule nur sexuell auf? Und nicht darüber, was Liebe ist, was Partnerschaft bedeutet, welche Anforderungen eine Familie an Mütter und Väter stellt, wie man Hausarbeit teilt und was Kinder brauchen?" Diese frühzeitige Erziehung könne langfristig auch die Scheidungsrate senken, glaubt Schmidt: "Wir müssen lernen, was Liebe ist. Da kann der Staat helfen."
Die CSU kritisierte die Pläne Schmidts scharf. "Die neue Bundesfamilienministerin plant offensichtlich die staatliche Übernahme der Kindererziehung nach DDR-Vorbild", kommentierte CSU-Generalsekretär Thomas Goppel.

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Copyright © Frankfurter Rundschau 2002
Dokument erstellt am 04.11.2002 um 21:07:49 Uhr
Erscheinungsdatum 05.11.2002



http://www.frankfurterrundschau.de/fr/110/t110004.htm
Vater Staat und Mutter Schmidt
Renate Schmidt als perfekte Symbiose: Die Ministerin gibt uns fortan das Gefühl, in einer großen, friedlichen Familie zu leben
Von Stephan Hebel
Renate Schmidt ist die perfekte Symbiose aus Mutter Beimer und Vater Staat. Die Ministerin gibt uns fortan das Gefühl, in einer großen, friedlichen Familie zu leben. Denn Vater Staat, repräsentiert durch Mutter Schmidt, "kann helfen", genauer: "Wir müssen lernen, was Liebe ist. Da kann der Staat helfen."
Renate Schmidt, unterbeschäftigt mit Kindergartenplätzen, frauenfreundlichen Betrieben und ähnlichen familienbewussten Aktivitäten, hat der Zeitschrift Bildwoche ein Interview gegeben. "Warum", fragt sie, "klären wir unsere Kinder in der Schule nur sexuell auf (na ja, d. Red.)? Und nicht darüber, was Liebe ist . . .?" Et cetera pp. Eine wahnwitzig schöne Vorstellung, wie Klein Fritzchen von Vater Staat via Lehrerin erfährt, was sein realer Papi, falls vorhanden, ihm partout nicht verraten will: ". . . was Partnerschaft bedeutet, . . . wie man Hausarbeit teilt und was Kinder brauchen". Es wird etwas dauern, bis Fritzchens Vorstellungen vom Teilen der Hausarbeit mit denen von Renate Schmidt übereinstimmen. Aber irgendwann wird der Kleine schon verstehen, dass Vater Staat nicht beim Geschirrspülen "helfen kann" und auch nicht so recht bei Schule und Gedöns, aber dafür durch Einführung des Lehrfachs "Familienkunde". Renate Schmidt im Klartext: Papa Staat macht uns arm, aber glücklich.
Fazit: Man kann die Reaktion der CSU drollig finden, die DDR-Zustände drohen sieht. Aber Renate Schmidt ist auch nicht ohne. Als "Privatfrau" fordert sie nebenbei ein Wahlrecht von Geburt an. Nach der Familienkundestunde geht Papi für Fritzchen wählen. Das wird ihn trösten.

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Dokument erstellt am 04.11.2002 um 21:08:31 Uhr
Erscheinungsdatum 05.11.2002

 

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