Presseschau im Juni 2002

 

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Lange: Die Entschuldigung

Der Senator hat sich von seinen Aussagen über Beamte seiner Behörde distanziert. Trotzdem gab es scharfe Kritik der Opposition.

Zwei Wochen nach dem Eklat in der Bürgerschaft hat sich Bildungssenator Rudolf Lange (FDP) von seinen Äußerungen über leitende Beamte seiner Behörde distanziert. "Ich bedaure den Ort und den Ton meiner Äußerungen, aber mir ist einfach der Kragen geplatzt. Das tut mir Leid", sagte Lange in einer Erklärung (Auszüge nebenstehend, die Red.) vor Beginn der Debatte, in der die SPD die Entlassung des Bildungssenators beantragte.

Wie erwartet überstand der Senator die Abstimmung in eigener Sache trotz mancher interner Kritik vorab ohne Blessuren: Für die Aufforderung an Bürgermeister Ole von Beust, Lange zu entlassen, stimmten die 57 Oppositions-Abgeordneten von SPD und GAL. Dagegen votierten 63 Parlamentarier der Regierungsfraktionen. Der Schill-Abgeordnete Wolfgang Barth-Völkel fehlte.

Der Entscheidung war ein heftiger Schlagabtausch von Regierung und Opposition vorausgegangen. SPD-Fraktionschef Grund begründete den Antrag zwei Tage nach der großen Demonstration auf dem Rathausmarkt mit dem "bildungspolitischen Fiasko", das der neue Senat mit seiner Sparpolitik angerichtet habe. Lange habe zweimal sein Wort gebrochen und "als Führungskraft total versagt". Die GAL-Schulexpertin Christa Goetsch warf Lange "fachpolitische Ahnungslosigkeit und Versagen" vor. Der Senator habe die "Motivation der Mitarbeiter auf den Nullpunkt gebracht". Für Britta Ernst (SPD) sucht Lange die Schuld immer bei anderen. "So versucht er, seinen Dilettantismus zu verbergen."

Der CDU-Fraktionschef Michael Freytag nannte den Abwahlantrag dagegen "absurdes Theater einer frustrierten Opposition". SPD und GAL seien für die Bildungsmisere verantwortlich, weil sie "ungedeckte Schecks auf die Zukunft der Stadt ausgestellt" hätten. Mehr als 500 Lehrer seien vom alten Senat am Haushalt vorbei eingestellt worden.

Schill-Fraktionschef Norbert Frühauf warf dem früheren Senat dagegen vor, die Schulen "kaputtgespart" zu haben. "Herr Lange hat nichts getan, als unsere Koalitionsvereinbarung umzusetzen. Es gibt keinen Anlass zur Kritik", sagte Frühauf. FDP-Fraktionschef Burkhardt Müller-Sönksen lobte die "menschliche Größe" seines Parteifreundes Lange wegen dessen Erklärung. "Herr Lange hat einen Augiasstall auszumisten", verteidigte Müller-Sönksen den Senator. Bürgermeister von Beust betonte, dass Einsparungen wegen der Haushaltslage unausweichlich seien: "Die Opposition weckt Träume, von denen sie weiß, dass sie überhaupt nicht machbar sind." Der neue Senat wolle mehr Gerechtigkeit in der Ausstattung der Schulen. "Herr Lange hat neue Weichen gestellt und einen Kurswechsel eingeleitet."

Der CDU-Bildungsexperte Wolfgang Drews lobte die Standhaftigkeit Langes. "Wir stehen zu ihm - heute und in Zukunft", sagte Drews. "Er macht seine Arbeit sehr gut", sagte Katrin Freund (Schill-Fraktion). Lange kündigte an, was das Abendblatt bereits vor zwei Tagen berichtet hatte: Daschner und mit ihm der stellvertretende Verwaltungsleiter Dietrich Lemke werden auf neue Posten versetzt. SPD-Fraktionschef Grund warf Lange daraufhin vor, sein Bedauern nicht ernst zu meinen. "Herr Lange, Sie haben einen Fehler eingestanden, aber Sie müssen auch die Konsequenz daraus ziehen. Lassen Sie Daschner auf seinem Posten, dann wird die Sache rund", sagte die GAL-Abgeordnete Anja Hajduk. (pum)

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Der Wortlaut der Erklärung

"Mit meinen Äußerungen in der Sitzung am 30. Mai habe ich in diesem Haus und darüber hinaus die Gemüter bewegt. Dazu erkläre ich:

Ich bedaure den Ort und den Ton meiner Äußerungen, aber mir ist einfach der Kragen geplatzt. Dies tut mir Leid.

Bitte glauben Sie mir, es ging mir einzig und allein um die Verbesserung der Abläufe in der Behörde. Vielleicht habe ich meine Kritik nicht ganz richtig formuliert. Ich wollte keine pauschale Verurteilung der gesamten Behörde und ihrer Mitarbeiter, denn das wäre in keiner Weise gerechtfertigt. Ich weiß, dass in unserer Behörde sehr viele hoch qualifizierte Mitarbeiter tätig sind.

Es gibt allerdings auch erhebliche Organisationsdefizite, die sich im Laufe der vergangenen Jahre entwickelt haben. Im Zusammenhang mit diesen Organisationsdefiziten habe ich mich über den Landesschulrat wie folgt geäußert, und ich wiederhole dies auf seinen ausdrücklichen Wunsch:

- Ich bin über die Qualität einiger leitender Beamter der BBS nicht nur überrascht, sondern entsetzt,

- ein Landesschulrat, der seit zehn Jahren im Amt ist und nicht weiß, wie viel Lehrerstellen er hat, sei relativ unakzeptabel, er sähe sich nur hilfesuchend nach dem Verwaltungsbeamten um, und dies sei schlicht ein Ding der Unmöglichkeit.

Diese Äußerung bedaure ich.

Weiterhin stelle ich klar, dass die angesprochenen Papiere mit unterschiedlichen Zahlen mir nicht vom Landesschulrat gegeben worden sind und von ihm auch nicht erbeten wurden. Sie waren ihm unbekannt, weil die Ermittlung der Daten in anderer Verantwortung lag. Insofern ist die Ankündigung dienstrechtlicher Konsequenzen und Untersuchungen durch die Innenrevision und den Landesrechnungshof nicht auf den Landesschulrat bezogen gewesen.

Der Landesschulrat und der stellvertretende Verwaltungsleiter werden mit neuen Aufgaben betraut, die sich auch aus der vorgesehenen Neu-Organisation der Behörde ergeben. Unter diesem Aspekt werde ich auch hinsichtlich der Nachfolge Gespräche mit der gebotenen Sorgfalt führen und den betroffenen Gremien Vorschläge unterbreiten."

Erklärung des Präses

der Behörde für Bildung

und Sport am 12. Juni 2002

in der Hamburger Bürgerschaft

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Studenten: Wer bummelt, muss zahlen

Hochschulreform und Schulgesetz: Niedersachsen geht neue Wege in der Bildung.

Von Ludger Fertmann

Hannover - Für die mehr als 25 000 so genannten Bummelstudenten an niedersächsischen Hochschulen war gestern ein schlechter Tag: Die umfassende Hochschulreform, die der Landtag in Hannover endgültig beschloss, verlangt ihnen Geld ab. Denn Studierende, die die Regelstudienzeit um mehr als vier Semester überschritten haben, müssen für jedes weitere Semester künftig 500 Euro Studiengebühr zahlen.

CDU und Grüne stimmten gegen das Gesetz. Doch trotz teils heftiger Kritik der Oppositionsparteien gilt das Reformwerk als bundesweit vorbildlicher Versuch, die Hochschulen zu modernisieren. Sie erhalten mehr Verantwortung und straffere Führungsstrukturen.

Was Wissenschaftsminister Thomas Oppermann (SPD) nun schon hinter sich hat, steht seiner parteilosen Kabinettskollegin Renate Jürgens-Pieper morgen bevor. Die Bildungsministerin muss bei der abschließenden Lesung die Schulstrukturreform verteidigen. Da stehen die Landesregierung und die SPD-Mehrheitsfraktion weithin allein gegen eine Front von Kritikern: Eltern, Lehrer und Wirtschaft sind gegen die Reform. Anders als Oppermann ist es Jürgens-Pieper und Regierungschef Sigmar Gabriel nicht gelungen, die Verbände durch gezielte Kompromisse einzubinden.

Nach Spitzengesprächen Gabriels mit Handwerk und Elternrat hat die SPD-Fraktion den Gesetzentwurf sogar noch einmal korrigiert. Die Chancen für Real- und Hauptschulen, Standorte der neuen Förderstufen zu werden, sind gestiegen. Trotzdem blieben die so umworbenen Verbände bei ihrer Ablehnung. Die Organisation der Förderstufen, die die Orientierungsstufe ablösen sollen, steht im Mittelpunkt ihrer Kritik.

Kaum weniger einschneidend sind die Veränderungen an den 19 Hochschulen des Landes mit ihren fast 150 000 Studierenden. Die Hochschul-Senate werden auf Kontrollaufgaben zurückgestutzt, kleine Präsidien führen die Geschäfte. Das Gesetz ist mit 72 Paragraphen nur halb so umfangreich wie sein Vorgänger. Wichtigster Grund: Das Land verzichtet weitgehend auf einengende Vorschriften. Sogar über neue Studiengänge entscheiden die Hochschulen künftig selbst. Mit dem Land werden nur Vereinbarungen über die Zahl der Studierenden, Studiendauer und Qualität der Abschlüsse getroffen.

Neu ist auch, dass allen Hochschulen die Chance geboten wird, sich in eine Stiftung umzuwandeln. Dies bedeutet noch größere Chancen, Forschungsmittel einzuwerben. Zu den drei Hochschulen, die bereits Interesse bekundet haben, gehört mit der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) auch eine der renommiertesten deutschen Uni-Kliniken.

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Lernen mit Pauken und Trompeten

Am Sonnabend lädt die Jugendmusikschule zusammen mit dem Konservatorium zum "Tag der offenen Tür". Ein Blick hinter die Kulissen.

Von Dorothea Heintze

Hamburg - Moritz kommt gerade aus der Elementargruppe, Till marschiert zum Trommelkurs und Sabrina übt noch schnell ein paar Takte auf ihrer Geige - sie hat heute Abend ein Vorspiel vor ihrem Lehrer und den Eltern. Derweil nippen zwei wartende Mütter im Bistro an ihrem Cappuccino, am Empfang erkundigt sich ein Vater nach Flötenkursen.

Ein Sommernachmittag im Hauptgebäude der Hamburger Jugendmusikschule (JMS) am Mittelweg - etwa 300 Kinder kommen täglich hierher zum Unterricht. Weitere rund 7300 Kinder und Jugendliche in ganz Hamburg lernen nachmittags in nicht genutzten Schulräumen bei insgesamt mehr als 280 JMS-Lehrern ein Instrument. Hinzu kommen im Rahmen einer Kooperation mit der Schulbehörde noch einmal etwa 5800 Kinder in 65 Grundschulen, die von 50 Lehrern der Jugendmusikschule unterrichtet werden.

Im vergangenen Jahr feierte die Hamburger Jugendmusikschule 50-jähriges Bestehen. Sie ist die größte in Deutschland - und trotzdem zu klein: Mehrere Tausend Kinder stehen seit Jahren auf einer Warteliste. Für Direktor Wolfhagen Sobirey liegt im großen Erfolg denn auch ein Scheitern: "Die riesige Nachfrage bestätigt unsere Arbeit, doch es zerreißt uns das Herz, dass wir so viele so lange warten lassen müssen." Eine Aufstockung der Lehrerzahl sei in Sparzeiten aber undenkbar. "Wir sind schon froh, wenn uns zurzeit keine Stellen gestrichen werden." Trotzdem herrscht Aufbruchstimmung in der JMS. In den letzten Jahren habe man viele neue Projekte angepackt, auf die man sehr stolz sei. Zum Beispiel den "Jamliner", einen zu einem Musikstudio umgebauten Bus, der regelmäßig bestimmte Krisenviertel in Hamburg anfährt, um dort Jugendliche zum Musizieren zu animieren. "Mit dem Bus erreichen wir Kinder, die in ihrem Leben noch nie ein Musikinstrument in der Hand hatten", berichtet Sobirey. Wie wichtig dies ist, zeigt das Beispiel eines Mädchens aus Neuwiedenthal. Einem Musiklehrer war aufgefallen, dass die 14-Jährige Talent hat, aber nur unregelmäßig zum Musikmachen kam. Er erkundigte sich bei dem zuständigen Sozialarbeiter und erfuhr: Was dem Lehrer als "Unregelmäßigkeit" galt, war für das Mädchen bereits eine bisher nie gekannte Stetigkeit. Zum ersten Mal in ihrem Leben, hatte sie dem Sozialarbeiter begeistert erzählt, habe sie ein Ziel - Gitarre lernen.

Unter den deutschen Musikschulen gilt die Hamburger Institution als Vorreiter. Seit kurzem gibt es auch regelmäßige Auftritte von JMS-Schülern und Grundschulgruppen sowie Ensemble-Angebote für Anfänger. Schon sechs Jahre alte Geigenschüler spielen am Mittelweg in kleinen Orchestern. Das klinge zwar nicht immer gleich "ganz harmonisch", sagt Sobirey, "aber wir haben die Erfahrung gemacht, dass es die Kinder unheimlich motiviert."

Infos zum "Tag der offenen Tür":

Jugendmusikschule: 42801-4141 oder www.jugendmusikschule.hamburg.de Hamburger Konservatorium: 870877-0 www.hamburger-konservatorium.de

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Senator Lange entschuldigt sich für Bürgerschafts-Eklat

"Ich bedaure die Art und den Ton meiner Äußerungen"

Von Insa Gall

Bildungssenator Rudolf Lange hat sich am Mittwoch in der Bürgerschaft förmlich für den Eklat entschuldigt, den er vor kurzem im Parlament ausgelöst hatte. "Ich bedaure die Art und den Ton meiner Äußerungen", erklärte der FDP-Politiker zum Auftakt einer hitzigen Debatte über den Misstrauensantrag, mit dem die Opposition seine Abwahl erreichen wollte. "Mir ist einfach der Kragen geplatzt und das tut mir sehr leid", sagte Lange.

Vor zwei Wochen hatte der Bildungssenator die leitenden Beamten seiner Behörde an gleicher Stelle scharf angegriffen und gesagt: "Ein Landesschulrat, der nicht weiß, wie viele Lehrer er hat, ist für mich relativ unakzeptabel." Der gescholtene Landesschulrat Peter Daschner verfolgte die Entschuldigung nun von der Loge aus. Die Papiere mit den falschen Lehrerzahlen stammten nicht von ihm, stellte Lange richtig. Ihm sei es bei seiner Kritik nicht um eine pauschale Verurteilung seiner Mitarbeiter gegangen, sondern um die Abläufe in seiner Behörde. "Da haben sich im Laufe der Jahre erhebliche Defizite entwickelt."

Lange bestätigte, dass Daschner sowie der stellvertretende Leiter des Verwaltungsamtes Dietrich Lemke neue Aufgaben erhalten werden, die sich aus der geplanten Neuordnung der Behörde ergeben. Nach Informationen der WELT soll Daschner ein neu zu gründendes Landesinstitut leiten, das die Lehrerausbildung reformieren und verschiedene Einrichtung wie das Institut für Lehrerfortbildung, das Staatliche Studienseminar, das Lehrerprüfungsamt und die Suchtprävention koordinieren soll.

Bürgermeister Ole von Beust stellte sich mit Nachdruck hinter seinen angeschlagenen Senator und griff die Opposition scharf an: "Sie bringen Zehntausende auf den Rathausmarkt mit dem Versprechen, sie könnten die Bildungspolitik finanziell besser ausstatten, dabei wissen Sie genau, dass diese Behauptung nachweislich falsch ist", sagte er an die Adresse von SPD und GAL. Trotz der prognostizierten Steuerausfälle investiere die Regierung in Bildung. Die Opposition wende sich in Wirklichkeit nur dagegen, dass in Bereiche investiert würde, von denen SPD und GAL nichts hielten. "Sie kämpfen gegen den Paradigmenwechsel in der Politik."

Vorangegangen waren heftige Angriffe gegen den Senator: Lange habe sich "mehrfach fachlich überfordert gezeigt, jede Glaubwürdigkeit verloren und sich als Führungskraft disqualifiziert", erklärte SPD-Fraktionschef Uwe Grund. Die Verantwortung für das eigene Versagen auf andere zu schieben, gehöre zu den schwersten Fehlern einer Führungskraft. Langes Entschuldigung enthalte kein echtes Bedauern, sondern sei nur eine "wohl ausgefeilte juristische Erklärung, um rechtliche Folgen zu vermeiden". Angesichts dieses "Totalversagens" müsse von Beust Lange entlassen. Der Antrag wurde mit den Stimmen der Regierungskoalition abgelehnt.

Channel: Hamburg

Ressort: Hansestadt Hamburg

Erscheinungsdatum: 13. 06. 2002

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Lehrerverband wirft Gabriel "Etikettenschwindel" vor

Unmut über niedersächsisches Schulgesetz dauert an. WELT-Gespräch mit VDR-Landesvorsitzender Christel Harendza

Von Edgar S. Hasse

Hannover/Werlte - Vor der für morgen im niedersächsischen Landtag geplanten Verabschiedung des umstrittenen Schulgesetzes dauert der Unmut über das Paragrafenwerk an. "Hinter den Plänen, das gymnasiale Angebot zu erweitern, steckt eigentlich die Absicht, flächendeckend Gesamtschulen einzurichten. Das ist Etikettenschwindel und geht zu Lasten der Bildungsqualität", sagte die Landesvorsitzende des Verbandes Deutscher Realschullehrer (VDR), Christel Harendza, am Donnerstag der WELT. Besonders ärgerlich ist nach ihrer Ansicht der geringe zeitliche Rahmen, den die Landesregierung unter Ministerpräsident Sigmar Gabriel (SPD) für die breite Debatte des Schulgesetzes veranschlagt hat. "Während für die Novellierung des Hochschulgesetzes rund ein Jahr Zeit war, knüppelt die SPD das Schulgesetz in nur zehn Wochen durch. Spätestens bei der nächsten Landtagswahl wird sie dafür die Quittung bekommen."

Während der Deutsche Realschullehrerverband gravierende Einschnitte in der Bildungsqualität befürchtet, gibt sich die Landesregierung mit dem geplanten Gesetz reformfreudig. Kern des Projekts ist die Abschaffung der Orientierungsstufe. Stattdessen sollen künftig in der 5. und 6. Klasse Förderstufen an den weiterführenden Schulen eingerichtet werden. Auch nach der Kurskorrektur der Landesregierung zu Wochenbeginn bleibt es offenbar dabei, dass kooperative Schulformen (Gesamtschule, kooperative Haupt- und Realschule) vorrangige Standorte der Förderstufen sein sollen. Die Union setzt dagegen auf eine Dreigliederung des Schulwesens ohne Förder- und Orientierungsstufen; die Grünen plädieren für eine Verlängerung der Grundschule bis zur 6. Klasse.

Auf die SPD-Pläne reagiert der Verband der niedersächsischen Realschullehrer mit seinen mehr als 1000 Mitgliedern mit großer Skepsis. Zwar entspreche die Anbindung der Förderstufe an alle Schulformen den eigenen Forderungen, aber die Entstehung der Schulgesetznovelle sei die "unendliche Geschichte immer neuer Papiere und Varianten", so Christel Harendza. "Wir erleben einen Schlingerkurs bis zur letzten Minute, der absolut nicht geeignet ist, Vertrauen zur Bildungspolitik dieser Landesregierung zu entwickeln." Punktuelle Nachbesserungen, von denen niemand wisse, wie sie tatsächlich umgesetzt würden, machten den Gesetzentwurf nicht zustimmungsfähiger. "Wer auf dem sensiblen Gebiet der Bildungspolitik mit der Brechstange arbeitet und dabei noch auf Schlingerkurs fährt, kann nicht den Anspruch erheben, ernsthaft die Qualität in Niedersachsens Schulen verbessern zu wollen", sagte sie. Vielmehr lasse sich nicht widerstandslos ein flächendeckendes Gesamtschulnetz verordnen, das zu Lasten der schulischen Qualität und des Schulfriedens geht.

Bereits zu Wochenbeginn hatte auch der Präsident des niedersächsischen Handwerkstages, Kurt Rehkopf, das Gesetz erneut als untauglich bezeichnet. Es werde die Defizite der Schulabgänger nicht beheben.

Channel: Hamburg

Ressort: Norddeutschland

Erscheinungsdatum: 13. 06. 2002

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Vom Konter- zum Kenteradmiral

Hamburgs FDP-Bildungssenator Lange musste Misstrauensvotum überstehen

Von Insa Gall und Martin Kopp

Hamburg - Noch vor wenigen Monaten galt er als der unbestrittene Hoffnungsträger der Hamburger FDP: Als neuer Bildungssenator übernahm der frühere Konteradmiral und Politik-Neueinsteiger Rudolf Lange ein Ressort, das jahrzehntelang von der SPD verwaltet worden war, und kündigte ambitionierte Reformen an. Doch in seiner kurzen Amtszeit hat Lange nicht nur einen Großteil der Lehrer, Eltern und Schüler gegen sich aufgebracht, sondern auch eine beispiellose Serie von Pannen, handwerklicher Fehler und unüberlegter Entscheidungen hingelegt. Das Wort vom "Kenteradmiral" macht in der Hansestadt die Runde. Ausgerechnet in der Bildungspolitik, in der die FDP im Bundestagswahlkampf zu punkten hofft, verpatzt der einzige liberale Ressortchef in den Ländern den Praxistest.

Die Kritik fand gestern ihren vorläufigen Höhepunkt in einem Misstrauensantrag der Opposition, den der Bildungssenator in der Bürgerschaft zu überstehen hatte. Dabei hatte es für Lange bereits turbulent begonnen: Am Montag demonstrierten Zehntausende Lehrer, Schüler und Eltern vor dem Rathaus der Hansestadt gegen geplante Kürzungen im Bildungshaushalt. Kritik an seiner fehlenden Sachkompetenz, an einsamen Entscheidungen im Hauruckverfahren und einer wenig ausgeprägten Kommunikationsbereitschaft hatten Lange vom Beginn seiner Amtszeit an begleitet. Doch seit einigen Wochen überschlagen sich die Ereignisse. Angesichts der katastrophalen Haushaltslage der Stadt sind viele Reformvorhaben kaum noch zu finanzieren. Auf einer Sparklausur des Senats hatte Lange vor Pfingsten einer Erhöhung der Lehrerarbeitszeit und dem Abbau von 1050 Lehrerstellen bis 2005 zugestimmt, obgleich seine Partei im Wahlkampf 750 zusätzliche Lehrerstellen versprochen hatte. Eilig stempelte die Opposition den Schulsenator zum "Umfaller des Jahres", hatte der doch nur wenige Wochen zuvor in einem Brief an die 15000 Lehrer der Hansestadt versprochen, es werde keine Pflichtstundenerhöhung geben.

Der Vorstand seiner eigenen Partei pfiff Lange zurück und setzte Nachverhandlungen durch - was praktisch einer Entmachtung gleichkam. Schließlich verkündete Lange, dass es jetzt nicht weniger, sondern 150 zusätzliche Stellen geben werde. Tags darauf musste sein Staatsrat zurückrudern. Wochenlang war die Bildungsbehörde nicht in der Lage, die genaue Zahl der Lehrerstellen zu beziffern. Schließlich bekannte sie Farbe: Im kommenden Schuljahr werden 345 Lehrerstellen abgebaut. Darüber kam es in der Bürgerschaft zum Eklat: Im Parlament bezichtigte er leitende Mitarbeiter seiner Behörde der Inkompetenz. Selbst in Koalitionskreisen gilt dies als beispielloser Vorgang.

In der Bundespartei befürchtet man inzwischen unangenehme Folgen. Der Kieler FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki warf Lange vor, "die Früchte unserer Arbeit nicht nur in Schleswig- Holstein, sondern möglicherweise bundesweit zu zerstören". Noch halten die Koalitionspartner in Hamburg zu Lange. Als einziges FDP-Mitglied im Senat ist er der Kitt, der die Koalition zusammenhält. Und Hamburgs Liberale selbst haben bislang keinen Ersatz für ihren einstigen Hoffnungsträger.

Channel: Politik

Ressort: Deutschland

Erscheinungsdatum: 13. 06. 2002

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Stoppt den Bildungsföderalismus!

Deutschland braucht endlich die Gleichwertigkeit der Schulverhältnisse - Debatte

Von Torsten Krauel

Wer kennt die Namen der sechzehn deutschen Landesbildungsminis-ter(innen)? Annette Schavan, Gabriele Behler, Monika Hohlmeier, ... Mathias Rößler ... oh, und Ute Erdsiek-Rave, in Kiel ... und in Hannover? Renate Jürgens-Pieper. Ah so. Günter Jauch könnte mit dieser Frage wohl fast alle Kandidaten scheitern lassen.

Bildungspolitik ist eine der wenigen den Ländern noch verbliebenen Kernkompetenzen. Es wäre eigentlich zu erwarten, dass deren Verwalter sich samt und sonders einen bundesweiten Namen gemacht hätten. Leider kennt man von Aachen bis Frankfurt an der Oder, von Flensburg bis Lindau nur das Kürzel KMK, Kultusministerkonferenz.

Das Thema Bildung wird nur dann ein wirkliches Politikum, wenn es, wie heute vormittag, auf Bundesebene debattiert wird. Vor dem Bundestag gibt der Bundeskanzler eine Erklärung der Bundesregierung dazu ab, und Bundespolitiker streiten über sie. Das ist sehr folgerichtig. Die Auffassung, Bildung sei ein nationales Thema, ein Thema für Bundestag und Bundeskanzler, eine Chefsache, beginnt sich durchzusetzen. Es wächst das Empfinden, der Bildungsföderalismus sei dabei zu scheitern, weil er ein Föderalformalismus ohne Gestaltungskraft geworden sei. Nicht Bundesländer, sondern EU-Staaten stehen miteinander im Wettbewerb: Das wird häufig gedacht, es wird nur noch nicht klar ausgesprochen.

Dies wird anders werden, wenn die Bundesländer-Resultate der "Pisa"-Studie (Program for International Student Assessment, Internationales Schülerbewertungsprogramm) Ende des Monats publik werden. Sie bieten zwar kaum den Schlüssel zur künftigen deutschen Bildungspolitik, denn mit Hamburg und Berlin sind zwei wichtige Schulregionen nicht gesondert ausgewiesen. Aber sie werden, so weit vorab zu hören ist, erkennen lassen, dass es gleichwertige Bildungsverhältnisse in Deutschland nicht gibt - der Länderaufsplitterung wegen.

Die eine Landesregierung experimentiert stärker mit Ganztagsschulen oder Gesamtschulen, die andere setzt konsequent auf die dreigliedrige Struktur. Das eine Land erhebt einen Fächerkanon zum verbindlichen Abiturmaßstab, das andere schätzt die Wahlfreiheit der Schüler höher. Das eine Land möchte die Chancengleichheit mit der sechsstufigen Grundschule durchsetzen, das andere die Chancengerechtigkeit mit dem Abitur nach zwölf Jahren. In den siebziger Jahren wurden manche Länderschulsysteme mit Rahmenrichtlinien politisiert, denen eine gänzlich andere Zielvorstellung vom reifen Menschen zu Grunde lag als im Nachbarbundesland. Die Wettbewerbsvielfalt hat bis heute keine klare Aussage darüber erbracht, welcher Weg der bessere sei; sie hat hingegen die Mobilität von Familien massiv eingeschränkt. Landesbildungspolitiker und Landesbildungsinteressengruppen haben sich in diesem Wettbewerb sehr viel stärker selbst verwirklichen können als die Schüler - aber ohne sich wirklich Wettbewerbsbedingungen zu unterwerfen. Ein echter Wettbewerb hat irgendwann ein Ergebnis. Der Bildungswettbewerb führt so, wie er stattfindet, nicht zu einem Ergebnis, sondern zu eifersüchtig gehüteten regionalen Bildungs-Clustern aus Landespolitikern und GEW-Funktionären, Lehrerverbänden und Schulbeamten, die sich eher abschotten, als von anderen Bundesländern lernen zu wollen.

Die Bildung ist aber zu wichtig geworden für absolut gesetzte föderale Eitelkeiten, sie ist der Hauptrohstoff Deutschlands. Es ist deshalb die Zeit gekommen, die Schulpolitik in den Katalog der Rahmengesetzgebung des Bundes aufzunehmen. Die Länder sollen ihre Hoheit nicht gänzlich abgeben, aber sie müssen einer Organisation des Schulwesens und einem Grundbildungsziel folgen, das national durchlässig ist. Wenn ein Bundesland konsequent Ganztagsschulen errichtet und ein anderes sich dem konsequent verweigert, ist das ein Eingriff in die grundgesetzlich angestrebte Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse von Eltern, der mit föderalistischem Wettbewerb nicht mehr zu begründen ist.

In Artikel 72 Grundgesetz heißt es zur konkurrierenden Gesetzgebung von Bund und Land: "Der Bund hat in diesem Bereich das Gesetzgebungsrecht, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht." Im Bildungssektor ist dies durchaus eine aktuelle Aufgabe. Man frage Familien, die aus beruflichen Gründen beispielsweise von Bayern nach Nordrhein-Westfalen oder von dort nach Berlin umziehen sollen.

Das Bundesbildungsministerium braucht deshalb eine Rahmenkompetenz für die Gestaltung der Grundorganisation des Schulwesens und für einen Grundkanon der jeweiligen Schulabschlüsse. Das Ziel muss es sein, Eltern, die dies wünschen, in ganz Deutschland in halbwegs erreichbarer Nähe einen nationalen Standard-Bildungsweg anzubieten. Eine solche Organisation hätte zwar nach 1969 zum bundesweiten Gesamtschulexperiment geführt. Aber es wäre dann auch nach 1982 zur bundesweiten Überprüfung dieses Experiments gekommen. Versuche mit anderen Schul- und Lern- und Fächerformen seien den Ländern unbenommen - allerdings nicht als schleichend ausgeweiteter Zwangsversuch in einem Anfall föderalistischer Gestaltungswut.

Channel: Forum

Ressort: Forum

Erscheinungsdatum: 13. 06. 2002

http://www.taz.de/pt/2002/06/13/a0287.nf/text

Noch mehr Lange-Weile

Schulsenator bleibt im Amt: Rechtskoalition lehnt Forderung von SPD und GAL nach Rücktritt Rudolf Langes (FDP) nach teils polemischer Debatte in der Bürgerschaft ab

Geschlossen lehnten CDU, Schill-Fraktion und FDP gestern den Antrag der SPD auf Entlassung von Schulsenator Rudolf Lange (FDP) ab. In namentlicher Abstimmung votierten alle 63 anwesenden Abgeordneten der Rechtskoalition gegen den von der SPD eingebrachten Antrag; ebenfalls geschlossen für die Entlassung stimmten die 57 Abgeordneten von SPD und GAL.

Zu Beginn der Debatte hatte Lange in einer persönlichen Erklärung "den Ort und den Ton" seiner Attacke auf Landesschulrat Peter Daschner "bedauert". Am 30. Mai hatte er den Spitzenbeamten der Schulbehörde vor der Bürgerschaft als "für mich relativ unakzeptabel" bezeichnet, weil dieser keinen Überblick über die Anzahl der Lehrer habe. Für diese "öffentliche Hinrichtung", so SPD-Schulexpertin Britta Ernst damals, war Lange seitdem massiv kritisiert worden.

Gestern nun musste der Senator öffentlich einräumen, dass der Landesschulrat für die Lehrerzahlen gar nicht zuständig ist. Dies fällt in die Verantwortung der Verwaltungsabteilung der Behörde. Gleichwohl kündigte Lange unter den Augen Daschners, der in der Besucherloge der Debatte folgte, dessen Versetzung an. Er werde "mit neuen Aufgaben betraut", so Lange, die Nachfolge gedenke er "nach sorgfältigen Gesprächen" zu regeln. In der nachfolgenden Debatte, die mit rund zwei Stunden ungewöhnlich lange dauerte und sich zur bildungspolitischen Grundsatzdiskussion auswuchs, wechselten bekannte Argumente über Lehrerstellenzahlen, Kürzungen bei Gesamtschulen und die vergangene Großdemonstration auf dem Rathausmarkt mit phasenweise gelungener Polemik. Lange sei der erste Bildungsminister, so Ernst unter rot-grünem Jubel, "der sich über zu viele Lehrer beschwert".

Er habe Glaubwürdigkeit verloren und sich "als Führungskraft disqualifiziert", meinten auch SPD-Fraktionschef Uwe Grund und die grüne Schulpolitikerin Christa Goetsch. "Eigenes Versagen auf Mitarbeiter abzuwälzen", so Grund, "ist der schlimmste Fehler eines Vorgesetzten." Goetsch warf Lange "chaotische Personalführung, fachpolitische Ahnungspolitik und handwerkliches Versagen" vor. Die Fraktionschefs Michael Freytag (CDU), Norbert Frühauf (Schill) und selbstredend Burkhardt Müller-Sönksen (FDP) stellten sich demonstrativ hinter den Senator. Und dies tat auch Ole von Beust, der aber zugestand, Lange habe mit seiner öffentlichen Mitarbeiterschelte "einen Fehler gemacht". Dafür habe er sich entschuldigt: "Was wollen Sie denn noch?" fragte er SPD und GAL. "Soll er etwa auf Knien vor Ihnen rutschen?"

Bloß nicht, lautete die rot-grüne Antwort einhellig. Besser wäre es, wenn ein Senator, "den in dieser Stadt niemand mehr respektiert", so Anja Hajduk (GAL), keinen weiteren Schaden anrichten würde. Die Hoffnung erfüllt sich wohl nicht. SMV

taz Hamburg Nr. 6773 vom 13.6.2002, Seite 21, 94 TAZ-Bericht SMV

http://www.taz.de/pt/2002/06/13/a0065.nf/text

in kürze

BILDUNG

GEW demonstriert

Tausende Lehrer, Schüler und Eltern aus ganz Deutschland protestierten gestern in Berlin gegen Kürzungen im Bildungsbereich. Zu der Demonstration unter dem Motto "Rettet die Bildung" hatte die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) aufgerufen. (dpa)

taz Nr. 6773 vom 13.6.2002, Seite 2, 12 Zeilen (Agentur)

http://www.taz.de/pt/2002/06/13/a0089.nf/text

Schlechte Noten für die deutsche Schule

Die Mehrheit der Bevölkerung ist mit dem Unterricht in Deutschland unzufrieden, gleichzeitig lehnt sie strukturelle Reformen aber ab. Nur die Ganztagsschule hat viele Fans. Die GEW startete gestern die Kampagne "Rettet die Bildung"

BERLIN taz Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat gestern mit einer bundesweiten Großdemonstration in Berlin eine Kampagne gestartet, mit der sie grundlegende Reformen im Bildungswesen durchsetzen will. Dazu scheint aber nicht nur politischer Druck, sondern auch jede Menge Aufklärung nötig zu sein. Denn obwohl mehr als 80 Prozent der Bevölkerung die Schulen lediglich mit "befriedigend" oder schlechter benoten, gibt es für strukturelle Reformen keine Mehrheit. Die einzige Ausnahme: die Ganztagsschule, für deren verstärkte Einführung mittlerweile mehr als jeder zweite Bundesbürger ist. Das ist das Ergebnis einer Studie, die die GEW gestern vorstellte.

Befragt wurden im Frühjahr, zwei Monate nach Bekanntgabe der Pisa-Ergebnisse, 2.916 Bundesbürger über 18 Jahre sowie 1.432 Eltern mit mindestens einem Kind. "Der Wunsch nach mehr Leistung in der Schule ohne Reform", so fasste Hans-Günter Rolff, Professor am Dortmunder Institut für Schulentwicklungforschung, die Ergebnisse seiner Untersuchung zusammen. Sein Urteil: "Das ist ein Trend zum Konservativen."

42 Prozent der Befragten halten die Anforderungen, die an deutsche Schüler gestellt werden, für zu gering. Vor zwei Jahren waren es nur 25 Prozent. Allerdings fordern die Befragten auch mehr Erziehung in der Schule. Drei Viertel sind der Ansicht, dass die Bildungseinrichungen auch soziale Kompetenz und Teamfähigkeit, Selbstdisziplin und Durchhaltevermögen vermitteln sollen.

Auf wenig Gegenliebe stoßen strukturelle Veränderungen, wie sie Experten nach der Veröffentlichung der Pisa-Studie diskutieren. Mehr integrierte Schulsysteme, längeres Lernen aller Kinder zusammen und weniger Druckmittel wie das Sitzenbleiben sind nicht besonders populär. Nur zwei Fünftel der Befragten meinen, dass man Kinder nach der Grundschulzeit nicht in verschiedene Schultypen einteilen sollte. Ein Drittel lehnt das klar ab. Gegen die sechsjährige Grundschule, die es in Berlin und Brandenburg gibt, ist sogar die Hälfte der Bevölkerung. Die GEW-Vorsitzende Eva-Maria Stange führte dies darauf zurück, dass die Befragten einfach keine anderen Schulformen kennen würden.

Unter dem Motto "Rettet die Bildung" will die GEW in den kommenden Monaten Druck für mehr Qualität im Bildungswesen und bessere Arbeitsbedingungen in den Schulen machen. Anlass für die Demonstration am gestrigen Abend war die Ministerpräsidentenkonferenz, die heute in der Hauptstadt tagt. Stange appellierte an die Landesfürsten, mehr Geld in Bildung zu investieren und sie zur Chefsache zu machen. Mindestens 20 Milliarden Euro müssten zusätzlich in diesen Sektor fließen. Heute will auch der Bundeskanzler eine Regierungserklärung zum Thema Bildung abgeben.

SABINE AM ORDE

taz Nr. 6773 vom 13.6.2002, Seite 6, 95 TAZ-Bericht SABINE AM ORDE

http://www.taz.de/pt/2002/06/13/a0163.nf/text

Mehr Männer in die Kitas

Zu einem gesellschaftlichen Umdenken haben Frauenquoten noch nicht geführt.

Eine Quote, die auch Männer in Frauenberufe bringt, könnte einen Wandel bewirken

Eine ganz normale deutsche Familie: Christina Delius hat eine akademische Karriere hinter sich. Erst am University College of Wales und dann am Kings College in London, wo sie den Master of Arts erwirbt. 1982 hat sie dann den Politiker Johannes Rau geheiratet, dessen Karriere im Laufe der Jahre deutliche Fortschritte gemacht hat. Heute ist er Bundespräsident und freut sich, wenn er wenigstens zum Frühstück mal Zeit für die drei gemeinsamen Kinder hat. Und sie? Christina Rau taucht nur noch als "Frau des Bundespräsidenten" auf der Internetseite ihres Mannes auf. Ganz normal in Deutschland.

Dabei geht es auch anders. Im "Schneckenhaus", einer Kita in Dresden, kümmern sich seit Jahren zwei Frauen und zwei Männer um die Kinder: eine Betreuerin, ein Betreuer, ein Zivi und eine Frau im freiwilligen sozialen Jahr. Die Betreuerin ist hart, aber herzlich, der Betreuer eher der mütterliche Typ. Am praktischen Beispiel erleben die Kinder dort, dass Erziehungsarbeit keine Frauensache ist. Und den klassischen Job der Putzfrau hat ein Mann. Putzen muss nämlich der Zivi. So schön kann das Leben manchmal sein.

Üblich aber ist in Deutschland etwas völlig anderes: Bis zum Ende der Grundschule bekommen die meisten Kinder tagsüber nur Frauen zu sehen. Frauen sind Hebammen, Krippenerzieherinnen, Tagesmütter und Grundschullehrerinnen. Haben Sie schon mal davon gehört, dass jemand einen Tagesvater sucht? Auch Au-pair-Jungs sind die absolute Ausnahme. Die Frauenquote hat viel bewegt und Frauen in Positionen gebracht, die vor zehn Jahren noch unvorstellbar waren. Doch am Bild der Frau als Mutter und Hausfrau hat das fast nichts geändert. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist nach wie vor ein Problem für die Frauen. Nötig ist also keine Frauenquote mehr, die Frauen die Chance bietet, so zu werden, wie Männer schon sind. Nötig ist eine Geschlechterquote. Sie würde nicht sofort etwas ändern, aber sie könnte einen Bewusstseinswandel einleiten. Zumindest öffentliche Kindergärten, Krankenhäuser und Schulen sollten bei Neueinstellungen problemlos so lange Männer bevorzugt berücksichtigen, bis das Verhältnis ausgeglichen ist. Wenn Fördergelder an diese Bedingung geknüpft werden, würden sich vermutlich auch die privaten Arbeitgeber an eine solche Quote halten.

Die fehlenden Männer in vielen Bereichen haben heute nämlich eine fatale Wirkung. Jungs verkünden in der Schule inzwischen wieder, Kinder seien nur etwas für Mädchen. Es hat auch keinen Zweck, Jungs und Mädchen in dieser Frage erziehen zu wollen. Sie machen uns letztlich doch alles nach. Selbst viele emanzipierte Frauen halten Putzfrauen für die Lösung ihrer Haushaltsprobleme. Die Botschaft an die Kinder ist eindeutig: Frau putzt. Entweder die Mutter oder eben die Putzfrau.

Schon 12- bis 15-jährige Mädchen verrichten mehr Hausarbeit als Jungen. Und während junge Männer zwischen 20 und 25 Jahren, einer Studie des Bundesfamilienministeriums zufolge, täglich eine Stunde Zeit für Hausarbeit und Kinderbetreuung übrig haben, müssen gleichaltrige Frauen dafür fast drei Stunden aufbringen. Rund 45 Prozent der 16- bis 23-jährigen Männer sind der Meinung, dass das auch völlig in Ordnung so ist. Gleichzeitig wünschen sich zwei Drittel der unter 30-jährigen Frauen, dass mehr Männer in Erziehungszeit gehen. Eine Geschlechterquote könnte den Frauen helfen. Sie ist auch relativ einfach zu machen, Schweden macht es seit Jahren vor. Dort muss sich der Vater an der Erziehungszeit beteiligen, sonst entfallen für einen Monat die finanziellen Leistungen.

Doch in Deutschland landen viele Familien spätestens beim ersten Kind wieder im normalen Trott. Der Vater kommt abends gestresst nach Hause und will vom gefütterten, gewickelten und gut riechenden Baby noch hören, wie es Papa und Auto sagt. Schließlich interessiert sich der moderne Mann für seine Kinder. Aber dann schnell ab ins Bett mit dem kleinen Quälgeist. Wer als Vater dagegen Verantwortung übernimmt, bekommt ein freundliches Schulterklopfen - und wird belächelt.

Nun soll das nicht heißen, dass sich nichts geändert hat. Die Männer haben sich inzwischen angewöhnt, den Frauen im Haushalt zu helfen. Zu helfen! Die Hausarbeit wird nicht etwa geteilt, sondern die Männer helfen den Frauen. Ab und zu werden die Kinder von der Schule abgeholt. Oder abends wird mal auf die Kids aufgepasst, damit die Frauen ausgehen können. Ernsthaft einmischen aber wollen sich die wenigsten Männer in die Kinderbetreuung. Die Frauen sollen bestenfalls vor Überlastung geschützt werden, damit sie im Haushalt weiter funktionieren und rotieren können. Sonst könnten die ja auf die Idee kommen, auch im Privatleben die Aufgaben quotiert zu verteilen.

Von einigen Frauen allerdings droht da wenig Gefahr: Sie können und wollen ihre Machtposition im Haus gar nicht aufgeben. Wenn die Männer schon im öffentlichen Leben das große Wort schwingen, wollen sie sich nicht auch noch den Kochlöffel und die Windel aus der Hand nehmen lassen. Schließlich sind Männer zwar angeblich technisch begabter, aber wie man eine Waschmaschine bedient, lernen die meisten erst, wenn die Frau mal im Krankenhaus liegt. Sehr oft passiert das bei der Geburt des ersten Kindes. Vielleicht ein Grund, warum sich danach so oft das traditionelle Familienmuster durchsetzt. Während Frau und Kind im Krankenhaus liegen, muss der Mann zum ersten Mal den Haushalt allein schmeißen. Eine Erfahrung, die den meisten Männern offenbar für lange Zeit erst mal reicht.

Eine Geschlechterquote wird nur dann funktionieren, wenn auch die entsprechenden steuerrechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Oft genug geht es gar nicht um Rollenbilder, sondern schlicht ums Geld. Die so genannten frauenspezifischen Berufe werden oft deutlich schlechter bezahlt. Wenn dann die Frage steht, wer weniger verdient, also zu Hause bleiben soll, werden die Frauen zum zweiten Mal bestraft. Hier müssen Gewerkschaften und Arbeitgeber endlich umsteuern. Mit dem Ehegattensplitting werden nach wie vor die Ehen belohnt, die Haus- und Erwerbsarbeit möglichst ungerecht untereinander aufteilen. Die Steuerersparnis ist dann am größten, wenn der Verdienstunterschied am größten ist. Wer dagegen eine partnerschaftliche Aufteilung anstrebt und damit gegen die vorherrschenden Geschlechterrollen opponiert, verliert. Damit ist Gerechtigkeit im Haushalt Luxus für die, die es sich leisten können.

Nötig sind also mehr politische Entscheidungsträger, die bereit sind, Privilegien der Männer zu kippen. Genauso nötig sind aber mehr Männer, die bereit sind, auf Privilegien zu verzichten und keine Angst vor vermeintlichen Frauenberufen haben. Wir brauchen mehr Kindergärtner, mehr Putzmänner und mehr Geburtshelfer. Und eine Bundespräsidentin, die ihrem Mann bei der Hausarbeit hilft. Wenn sie Zeit dafür hat.

NILS FLORECK

taz Nr. 6773 vom 13.6.2002, Seite 12, 241 Kommentar NILS FLORECK, taz-Debatte

http://www.sueddeutsche.de/aktuell/sz/artikel3002.php< /p>

Deutschkurs im Kindergarten

Bildungspolitiker wollen das Sprachproblem in der Schule durch Frühförderung lösen

Von Jeanne Rubner

Ende Juni werden die Kultusminister die Ergebnisse des Bundesländervergleichs ("Pisa-E") veröffentlichen. Bereits die internationale Pisa-Studie hatte deutlich gemacht, dass nirgendwo die soziale Herkunft sich so auf Leistungen niederschlägt wie in Deutschland, wo besonders viele Jugendliche mit mangelhaften Lesefähigkeiten die Schulbank drücken. Wohl auch in Erwartung schlechter Pisa-E-Ergebnisse brodelt es schon jetzt in der Rezepteküche der Bildungspolitiker. Zuletzt forderte Niedersachsens Ministerpräsident Sigmar Gabriel eine Quote – mehr als 25Prozent ausländische Schüler in den Klassen seien zu vermeiden.

Nun ist die Quote keine neue Idee. Sie stammt aus den USA, wo man schwarze Kinder per Bus in weiße Schulbezirke und umgekehrt verschickte. Langfristig gesehen lässt sich das Busing jedoch kaum als Erfolg bezeichnen – eine der Folgen jedenfalls ist, dass in den Südstaaten die in der Regel wohlhabenderen Weißen ihre Kinder auf Privatschulen schicken, während viele der öffentlichen Schulen fast nur noch Schwarze unterrichten. In Deutschland kehrt das Quotenkonzept in schöner Regelmäßigkeit wieder und wird ebenso schnell wieder verworfen. In den achtziger Jahren wollte die CDU in Berlin ausländische Schüler in Bezirke mit geringerem Ausländeranteil verschicken – allerdings wurde die im Gesetz festgeschriebene Quotenregelung nicht umgesetzt. Allein türkische Verbände haben sich konsequent für eine Quote ausgesprochen. So forderte noch zu Jahresbeginn Esref Ünsal, Vorsitzender des Verbands Türkischer Unternehmer und Industrieller (ATIAD), den Ausländeranteil an Grundschulen auf maximal 25 Prozent zu begrenzen. Und bildungsbewusste türkische Eltern ziehen längst aus Berlin-Kreuzberg oder Gelsenkirchen-Bismarck weg, um ihren Kindern den Besuch von Schulen mit 70, 80 oder 90 Prozent Ausländeranteil zu ersparen. Denn in solchen Schulen, so die Befürchtung, ist das Niveau niedriger als in anderen.

Doch viele Experten bezweifeln, dass eine Quote das "Ausländerproblem" lösen könnte. Denn die Ursache schlechter Schulleistungen von nicht-deutschen Kindern ist meist die mangelnde Sprachkenntnis. Die Defizite sind oft so gravierend, dass Kinder und Jugendliche es nicht schaffen, sie auszugleichen – mit dem Ergebnis, dass ausländische Jugendliche schlechte Berufsaussichten haben. So verlassen knapp 20 Prozent von ihnen die Schule ohne Abschluss, während es bei den Deutschen nur etwa zehn Prozent sind. Schon vor Pisa wurde deutlich, dass die Integration ins Stocken geraten war: Lehrer stellten fest, dass Kinder der "dritten Ausländergeneration" so schlecht Deutsch konnten, dass sie nicht in der Lage waren, dem Unterricht zu folgen.

Während Kinder mit mangelhaften Sprachkenntnissen bislang ein paar Förderstunden wöchentlich erhielten, versucht man jetzt, früher und gezielter zu fördern. Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) hat unlängst Sprachförderung schon im Kindergarten gefordert und will dafür Bundesmittel zur Verfügung stellen. Die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck (Grüne) will Sprachtests für alle Vorschulkinder, unabhängig von der Nationalität. Die Sprachprüfung müsste ihrer Ansicht nach anderthalb Jahre vor der Einschulung stattfinden; anschließend sollten die Kinder gefördert werden. In Nordrhein-Westfalen besuchen schon jetzt 16000 fünf- und sechsjährige Kinder von Zuwanderern Sprachkurse. Auch in Hessen bietet man vorschulische Sprachkurse an. Dort will man sogar mit dem am 1. August in Kraft tretenden Schulgesetz die frühe Sprachförderung erzwingen: Im Herbst werden die Kinder zum Einschulungstest gehen – ein halbes Jahr früher als bisher. Wer den Sprachtest nicht besteht, dem wird ein Kurs empfohlen. Bei der zweiten Einschulungsprüfung wird erneut getestet. Kinder, die dann nicht ausreichend Deutsch können, werden zurückgestellt.

Doch auch eine intensivere Förderung von Erstklässlern zeitigt Erfolge. Kinder, die zwei zusätzliche Stunden täglich in Deutsch und Rechnen erhielten, erreichten alle das Klassenziel – so die vorläufige Bilanz eines hessischen Modellversuchs. In Vergleichsschulen ohne diese Förderung mussten zahlreiche Kinder die erste Klasse wiederholen. Hessens Schulministerin Karin Wolff (CDU) ist jedenfalls überzeugt, dass Sprachförderung "erfolgreicher ist, als Kinder mit dem Bus durch Städte zu karren".

http://www.sueddeutsche.de/aktuell/sz/artikel3003.php< /p>

Zeichen statt Sprache

Grundschullehrerin Gertrud Barton über ihren Alltag mit Kindern, die kaum Deutsch verstehen

Gertrud Barton unterrichtet eine zweite Klasse an einer Münchner Grundschule. 15 ihrer 25 Schüler kommen nicht aus Deutschland.

SZ: Können die ausländischen Kinder Deutsch?

Barton: Fünf Kinder haben große Probleme mit der Sprache. Die Deutschkenntnisse der übrigen sind sehr unterschiedlich. Neben neun türkischen Schülern habe ich jeweils ein Kind aus Mazedonien, Albanien, Rumänien, Italien, Griechenland und Thailand in meiner Klasse. Manche sind erst kurz vor der Einschulung nach Deutschland gekommen; andere waren hier im Kindergarten und wurden dort bereits sprachlich gefördert.

SZ: Wie unterrichten Sie Kinder, die Sie nicht verstehen?

Barton: Ich arbeite sehr viel mit Bildern, Symbolen und mit Handzeichen. Ein Bild mit einem großen Ohr darauf bedeutet zum Beispiel: "Wir hören zu." Wenn ich eine Hand hebe, wissen die Kinder, dass sie leise sein müssen. Sie antworten darauf, indem sie dasselbe Zeichen geben. Wenn die Schüler einen Stift herrichten sollen, hänge ich einen großen Stift an die Tafel. Wegen der sprachlichen Probleme geht anfangs alles langsamer. Es kommt vor, dass mich die Kinder mit großen Augen fragend anschauen, weil sie nicht verstanden haben, was sie machen sollen. Kinder, die sich schon artikulieren können, fragen konkret nach: "Was heißt dieses Wort?" Es gibt aber auch Schüler, die ziehen sich in sich zurück, weil sie nichts verstehen, oder sie fangen an zu stören.

SZ: Ist unter diesen Umständen überhaupt ein effektiver Unterricht möglich?

Barton: Ich versuche es. Das Schwierigste ist, allen Kindern gerecht zu werden. Denn ich habe auch einen hochbegabten Jungen in der Klasse. Ich bilde Gruppen und beschäftige diejenigen, die schon weiter sind, mit schwierigeren Aufgaben. Aber das ist nicht immer möglich. Es wäre einfacher, wenn man in solchen Klassen zu zweit unterrichten könnte. Man muss auch ganz klar sagen, dass nicht alle Schüler das Klassenziel erreichen, das der Lehrplan vorschreibt. So sind Kinder, die bei der Einschulung überhaupt kein Deutsch können und auch keine Unterstützung von zu Hause bekommen, am Ende des ersten Schuljahres oft nicht in der Lage, einen vollständigen Satz zu lesen und zu verstehen.

SZ: Befürchten deutsche Eltern, ihre Kinder würden durch die ausländischen Klassenkameraden beim Lernen behindert?

Barton: Manchmal gibt es solche Vorbehalte. Einmal war eine Mutter dagegen, dass ihr Sohn neben einem ausländischen Jungen sitzt und mit ihm Partnerarbeit macht. Aber so etwas ist eher selten.

SZ: Wie funktioniert die Kommunikation mit den ausländischen Eltern?

Barton: Eltern, die kein Deutsch können, kommen oft mit einem Bekannten in die Sprechstunde, der für sie dolmetscht. Manchmal übersetzen auch die Kinder. Neulich kam eine Mutter morgens ganz aufgeregt zu mir, aber sie konnte mir nicht sagen, was eigentlich los war. Es hat eine Weile gedauert, bis ich verstanden hatte, dass sie nur ihr krankes Kind entschuldigen wollte.

SZ: Machen sich auch kulturelle Unterschiede im Unterricht bemerkbar?

Barton: Ja natürlich. Es gibt zum Beispiel Länder, in denen es üblich ist, Kinder zu schlagen. Neulich hat mich eine Mutter aufgefordert, ihrem Sohn eine Ohrfeige zu geben, wenn er nicht folgt. Kinder, die so erzogen sind, müssen erst lernen, Regeln einzuhalten, ohne mit körperlicher Gewalt dazu gezwungen zu werden. Oft sind die kulturellen Unterschiede aber auch eine Bereicherung – etwa wenn die Kinder von ihren Bräuchen erzählen; türkische Mädchen sind feinmotorisch oft weiter als ihre Altersgenossinnen, weil sie schon früh zu Hause mithelfen müssen. Umgekehrt wachsen islamische Buben zum Teil sehr behütet auf und werden wie kleine Prinzen behandelt; man merkt das zum Beispiel daran, dass sie sich nicht selbstständig an- und ausziehen können. Einer der Jungen in meiner Klasse ist bis zur Einschulung gefüttert worden und wurde auch sonst sehr verwöhnt. Er war so unselbstständig, dass er erst mühsam lernen musste, überhaupt einen Stift zu halten.

Interview: Tina Baier

http://www.sueddeutsche.de/aktuell/sz/artikel3004.php< /p>

"Der esst Banane"

Sprachdefizite bei Vorschülern

Von Tina Baier

Zwei Drittel der Kinder, die im August in Berlin in die Schule kommen, können nicht genug Deutsch, um dem Unterricht problemlos zu folgen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung im Auftrag des Berliner Schulsenats an 9874 Vorschulkindern. Jeweils etwa die Hälfte der getesteten Kinder war deutscher (5011) beziehungsweise ausländischer (4863) Herkunft. "Das Ergebnis ist nicht spezifisch für Berlin", sagt Andreas Pochert, der die Untersuchung geleitet hat. Es lasse sich auch auf andere deutsche Städte übertragen.

Viele Kinder sind während des Sprachtests an der Aufgabe gescheitert, in ganzen Sätzen eine Szene auf einem Bild zu beschreiben. Eine Zeichnung mit einer Familie beim Picknick und einem Jungen, der eine Banane isst, hätten einige Kinder lediglich mit dem Wort "Banane" beschreiben können oder mit "Der esst", sagt Pochert. Eine Darstellung, auf der sich der Junge mit einem Handtuch abtrocknet, mit dem Wort "nass". Auch mit der Aufgabe, Unterschiede wie dick und dünn, groß und klein in vollständigen Sätzen zu beschreiben, seien viele Kinder überfordert gewesen.

Streit um Sätze

Nach den Ergebnissen der Studie müssen 31 Prozent der Berliner Vorschulkinder sprachlich gefördert werden, 36 Prozent brauchen sogar intensive Unterstützung. Ohne diese Hilfen würden vor allem die Kinder aus der letztgenannten Gruppe in der Schule scheitern, glaubt Pochert. Sie seien nicht in der Lage, einfachste Anweisungen der Lehrerin wie "Lege bitte das Buch auf den Tisch" zu verstehen und umzusetzen.

Kritiker der Studie wie die Linguistin Carol Pfaff von der Freien Universität Berlin sind der Ansicht, dass der Test wichtige sprachliche Fähigkeiten nicht berücksichtigt. Zudem bemängelt Pfaff, dass sechsjährige Kinder den Begriff "Satz" nicht verstehen und deshalb auch nicht die Aufforderung der Prüfer, in vollständigen Sätzen zu sprechen. Zudem sei es im Alltag angemessen und grammatikalisch nicht unbedingt falsch, unvollständige Sätze zu verwenden. Auch Erwachsene täten das. Genau darin sieht Pochert das Problem. Hauptgrund für die mangelnden Sprachkenntnisse der Vorschüler ist seiner Ansicht nach eine "fehlende Gesprächskultur" in den Familien. Viele Eltern erklärten ihren Kindern nichts mehr; die Kommunikation beschränke sich auf Kurzsätze wie "Geh weg" und "Komm her". Deshalb seien mangelnde Deutschkenntnisse auch keineswegs nur ein Problem ausländischer Kinder. Auch 640 deutsche Kinder sind in der Gruppe, die sprachlich intensiv gefördert werden muss.

Vertreter von Lehrerverbänden fühlen sich durch dieses Ergebnis in ihrer Haltung bestätigt, dass eine Trennung ausländischer und deutscher Kinder im Unterricht ungeeignet ist, die Sprachmisere in der Schule zu lösen. Dieser Ansicht ist auch die Mehrheit der Bevölkerung: In einer Untersuchung des Dortmunder Instituts für Schulentwicklungsforschung, die am gestrigen Mittwoch vorgestellt wurde, nahmen 3000 Befragte Stellung zu der Aussage: "Für Kinder von Ausländern ist es besser, wenn sie auf Dauer in eigenen Klassen unterrichtet werden." 48 Prozent lehnten dies ab; 24 Prozent waren unentschieden und 28Prozent wären für eine Trennung.

http://www.sueddeutsche.de/aktuell/sz/artikel2845.php< /p>

Unveröffentlichte Studie des Bildungsministeriums

Schulen droht dramatischer Lehrermangel

Allein in den Klassen 5 bis 10 fehlen bis zum Jahr 2008 mehr als 9000 Pädagogen / Zahlreiche "Mangelfächer"

Von Marco Finetti

Düsseldorf – In Nordrhein-Westfalen droht bereits in den nächsten Jahren ein akuter Lehrermangel. Dies geht aus einer internen Bestandsaufnahme des Bildungsministeriums hervor, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt. In der Studie mit dem Titel "Lehrereinstellungsbedarf und Lehrereinstellungsangebot in NRW" heißt es wörtlich: "Der in der Vergangenheit bereits prognostizierte Mangel auf dem Lehrerarbeitsmarkt tritt nicht nur früher ein, er fällt auch deutlicher aus als bisher erwartet."

Für die Sekundarstufe I an den allgemein bildenden Schulen und vor allem für die Hauptschulen sowie für die Sekundarstufe II an den berufsbildenden Schulen stellt die Studie ein deutliches Missverhältnis zwischen zu besetzenden Stellen und Bewerbern fest. Besonders dramatisch ist die Situation in den Klassen 5 bis 10. Hier müssten bis zum Jahr 2008 über alle Schulformen hinweg 13900 Lehrer neu eingestellt werden. Tatsächlich stehen jedoch nur 4700 qualifizierte Junglehrer zur Verfügung. Damit zeichne sich "eine erhebliche Unterdeckung von rund 9200 Lehrkräften" ab, warnt die Studie. Allein bis 2005 fehlten bereits etwa 6500 Pädagogen.

Eine "ähnlich schwierige Situation" droht in der Sekundarstufe II der berufsbildenden Schulen. Hier können bis 2008 von etwa 9300 offenen Stellen lediglich 2800 mit entsprechend ausgebildeten Bewerbern besetzt werden. Somit fehlten auch hier etwa 6500 Lehrer.

Von den Unterrichtsfächern sind vor allem Informatik, Mathematik, Physik und Technik, aber auch Englisch, Religion, Sport, Kunst und Sozialwissenschaften betroffen; diese Fächer werden in der Studie allesamt als "Mangelfächer" bezeichnet.

Das Bildungsministerium bestätigte das Papier. "Das Problem des drohenden Lehrermangels ist allerdings schon seit langem bekannt und trifft alle Bundesländer", sagte Ministeriumssprecher Ralph Fleischhauer der SZ. Die genannten Zahlen bezeichnete Fleischhauer als teilweise "irreführend". Sie berücksichtigten beispielsweise nicht, dass die offenen Stellen in der Sekundarstufe I auch mit höher qualifizierten Lehramtsabsolventen der Sekundarstufe II besetzt werden könnten. Selbst dann würden jedoch bis 2008 in der Sekundarstufe I insgesamt 2200 Lehrer fehlen.

Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) äußerte angesichts der Zahlen heftige Kritik an der Landsregierung. "Ihre verfehlte Personalpolitik ist für den Mangel verantwortlich", sagte der VBE-Landesvorsitzende Udo Beckmann. Bei der Bezahlung und Beförderung der Lehrer sowie beim Unterrichtspensum bestünden "krasse Unterschiede" zwischen den Schulformen, die sich vor allem für die Hauptschulen negativ auswirkten. "Dem Lehrermangel am Gymnasium hat die Landesregierung schnell abgeholfen, indem sie die Eingangsbesoldung angehoben hat. Ob die Schüler an den anderen Schulformen ausreichend mit Lehrkräften versorgt werden, scheint ihr hingegen egal zu sein", sagte Beckmann. Das Bildungsministerium wies die Kritik zurück. Die Lehrerbesoldung werde auf Bundesebene festgelegt; kein Land bezahle Hauptschullehrer genauso gut wie Gymnasiallehrer.

http://www.frankfurterrundschau.de/fr/101/t101004.htm< /p>

Deutsche Schulen halten mit gewachsenen Erwartungen nicht Schritt

Bundesbürger sind laut Umfrage immer unzufriedener mit Leistungsniveau / Interesse an Ganztags-Bildungsstätten wächst

Von Jörg Feuck (Frankfurt a. M.)

Das öffentliche Ansehen der Schulen in Deutschland und das Vertrauen in deren Leistungsfähigkeit sind auf dem Tiefpunkt: Miserable Noten ergab die 12. Repräsentativumfrage des Instituts für Schulentwicklungsforschung (IFS) an der Uni Dortmund. Demnach soll sich an den Schulstrukturen nichts ändern. Eine klare Mehrheit der Befragten fordert aber mehr Strenge nach dem Pisa-Schock.

"Sie verlangen eine bessere Schule ohne Reform, mehr Leistungsdruck und gleichzeitig mehr Erziehung", so fasst Professor Hans-Günter Rolff, Leiter des IFS, den Tenor der Antworten zusammen, die bundesweit rund 4300 Erwachsene - ein Drittel davon Eltern schulpflichtiger Kinder - zwischen Februar und April, also mitten in der Pisa-Diskussion, gaben. Die Repräsentativ-Erhebung wird seit 1979 regelmäßig durchgeführt.

Rolff macht in der Öffentlichkeit "wachsende Ansprüche, sinkende Zufriedenheit und außer mehr Ganztagsschulen keine Bereitschaft zu strukturellen Veränderungen" aus. Es gebe sogar einen Trend, das Rad zurückzudrehen: Der Verzicht einiger Länder auf Zensuren in den ersten drei Grundschuljahren findet immer weniger Rückhalt in der Bevölkerung. Allerdings: Erstmals in der Geschichte der IFS-Umfrage spricht sich eine Mehrheit (55 Prozent) für mehr Ganztagsschulen aus.

Die Befragungen der Dortmunder Forscher zeigen, dass die Ansprüche über die Jahre hinweg sprunghaft gestiegen sind. 42 Prozent der Befragten - in Nordrhein-Westfalen sogar 50 Prozent - halten heute die Leistungsanforderungen in den Schulen für zu niedrig. In Bayern und Baden-Württemberg schätzt aber das Gros die Anforderungen als "gerade richtig" ein.

Ein Aufbrechen des gegliederten deutschen Schulsystems und längeres gemeinsames Lernen aller Schüler sind nicht sonderlich populär: Befürworter und strikte Gegner des differenzierten Schulsystems nach der Grundschule halten sich in etwa die Waage. Die sechsjährige Grundschule wünschen nur 30 Prozent der Befragten. Auch sprechen sich 56 Prozent der westdeutschen und gar 68 Prozent der ostdeutschen Befragten dagegen aus, das Sitzenbleiben abzuschaffen. Überhaupt gelten in den ostdeutschen Ländern, so Rolff, mehr Leistungsdruck und traditionelle Kopfnoten in Zeugnissen als selbstverständlich.

Laut IFS-Umfrage plädieren 90 Prozent für landesweit einheitliche Prüfungen bei allen Abschlüssen. Sieben von zehn Befragten betrachten bundesweite Leistungstests als dringendes Anliegen. Fast ebenso viele hätten nichts dagegen, würden schulbezogene Ergebnisse veröffentlicht.

Die Kenntnisse von Schulabgängern in Deutsch, Mathematik und Fremdsprachen schätzt fast ein Drittel der Befragten als schlecht ein. Dem deutschen Schulsystem geben insgesamt 45 Prozent der Befragten (35 Prozent der Eltern) die Note vier oder schlechter. In den großen Bundesländern fällt die Bewertung unterschiedlich aus: Mehr als die Hälfte der Bürger in NRW gibt dem deutschen Schulsystem höchstens die Note ausreichend, in Baden-Württemberg können sich dagegen nur 28 Prozent, in Bayern 21 Prozent zu schlechten Beurteilungen durchringen.

Deutlich abgenommen hat das Zutrauen in das Bemühen der Schulen, Kinder zu fördern. Nur jeder vierte Befragte nimmt dies den Schulen ab. Genauso viele erkennen gar keine Förderanstrengungen.

Die Vorsitzende der Gewerkschaft GEW, Eva-Maria Stange, bewertet die Ergebnisse als "Alarmzeichen", aus dem tiefes "Misstrauen" spreche. Die Bevölkerung wolle "mehr Belege" für die Leistungsfähigkeit der Schulen. Ihr Fazit: Lehrer brauchen Entlastung. "Mit gestressten Lehrern, die nur noch ihren Unterricht durchziehen können, ist dem einzelnen Schüler nicht geholfen."

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Copyright © Frankfurter Rundschau 2002

Dokument erstellt am 12.06.2002 um 21:04:47 Uhr

Erscheinungsdatum 13.06.2002

http://www.frankfurterrundschau.de/fr/101/t101005.htm< /p>

Großdemonstration

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GEW startet Kampagne für Bildungsqualität

feu FRANKFURT A.M., 12. Juni. Mit einer Großdemonstration in Berlin hat die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) am Mittwoch ihre Kampagne einer "bildungspolitischen Qualitätsoffensive" gestartet. Zu der Kundgebung am Vortag des Treffens der Ministerpräsidenten der Länder in der Hauptstadt hatte die Gewerkschaft mehrere zehntausend Teilnehmer erwartet. GEW-Vorsitzende Eva-Maria Stange forderte die Länderchefs auf, die "finanziellen Weichen so zu stellen, dass Bildung endlich Priorität genießt". Hintergrund ist der Streit zwischen Finanz- und Kultusministern über das Ausmaß künftiger Bildungsinvestitionen. Die Finanzressort-Chefs wollen den Rückgang der Schülerzahlen ab 2005 zu massiven Kürzungen nutzen.

Die GEW will in den nächsten Monaten "Druck" machen, zumal die Pisa-Diskussion Chancen für Veränderungen hin zu mehr frühkindlicher Förderung und Ganztagsangeboten eröffne. Andernfalls, so Stange, "versinkt Deutschland noch tiefer in internationaler Mittelmäßigkeit". Laut einer GEW-Mitgliederumfrage sind 79 Prozent zu Fortbildung auch in den Ferien bereit. Die GEW klagt, aktuell würden Lehrer-Arbeitszeiten und Klassengrößen hoch geschraubt sowie im Osten Kindergärten geschlossen. Ferner werde mit "D-Zug-Abiturklassen" die "Auslese verschärft".

Siehe auch das FR-Spezial Sind deutsche Schüler dumm?

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Copyright © Frankfurter Rundschau 2002

Dokument erstellt am 12.06.2002 um 21:04:47 Uhr

Erscheinungsdatum 13.06.2002

http://www.frankfurterrundschau.de/fr/101/t101006.htm< /p>

Ausländerbeauftragte

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Beck votiert für Sprachtests bei Vorschulkindern

BERLIN, 12. Juni (afp). Als Konsequenz aus der Pisa-Studie hat auch die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck (Grüne), Sprachtests für Vorschulkinder gefordert. Das geht aus einem Thesenpapier hervor, das Beck am Mittwoch in Berlin veröffentlichte. Darin plädiert sie dafür, dass auch deutsche Kinder die Tests absolvieren sollten. Die Sprachprüfung solle anderthalb Jahre vor der Einschulung stattfinden. Anschließend sollten Vorschulkinder gezielt gefördert und diese Anstrengungen notfalls in der Grundschule weitergeführt werden.

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Copyright © Frankfurter Rundschau 2002

Dokument erstellt am 12.06.2002 um 21:04:47 Uhr

Erscheinungsdatum 13.06.2002

http://www.frankfurterrundschau.de/fr/221/t221001.htm< /p>

Professoren stellen sich vor Schulrat

Empörung über Hamburgs Bildungssenator Rudolf Lange

Von Karsten Plog

HAMBURG. Die herabsetzende Art, in der Hamburgs umstrittener Bildungssenator Rudolf Lange (FDP) kürzlich in der Bürgerschaft seinen Landesschulrat Peter Daschner attackiert hat, ist bundesweit bei Pädagogen auf scharfe Kritik gestoßen. In einer Erklärung und einem Offenen Brief nennen Herausgeber und Beirat der renommierten Zeitschrift Pädagogik, darunter Persönlichkeiten der Erziehungswissenschaft in Deutschland, das Vorgehen Langes "nicht nur juristisch unhaltbar, sondern auch ein Lehrstück in Machtpolitik". Hier lerne die Jugend von ihrem Bildungssenator, "wie Politik mit Macht Menschen herabsetzt, zum Schweigen bringt und schließlich ausschaltet". Angemessener wäre es gewesen, "Kompetenz in der inhaltlichen Auseinandersetzung, Fairness im Umgang mit Mitarbeitern und Ehrlichkeit im Umgang mit eigenen Fehlern" zu zeigen.

Lange wird seit Amtsbeginn wegen zahlreicher politischer und sachlicher Fehlleistungen von der Opposition, von Lehrern, Eltern und Schülern kritisiert. Auf der Bürgerschaftssitzung vor zwei Wochen hatte er vor allem Daschner die Verantwortung zugeschoben und ihn als "relativ inkompetent" und "unakzeptabel" bezeichnet. Die Oppositionsparteien SPD und GAL hatten damals aus Prostest den Sitzungssaal verlassen. In der Behörde hatte Lange hinterher versichert, er habe Daschner keine Illoyalität vorwerfen wollen, sondern nur die schlechte Organisation in der Behörde. Aber schon ist als neuer Landesschulrat Achim Meyer auf der Heyde im Gespräch, der gegenwärtig das Amt für berufliche Bildung und Weiterbildung leitet. Die Personalia - der hoch angesehene Staatsrat Hermann Lange wurde bereits abgelöst - sind zusätzliche Indizien dafür, dass der neue Senat auf eine neue Schulpolitik drängt. Er will das gegliederte Schulsystem wieder verstärken - und damit eine frühere Auslese. Gleichzeitig sollen mehr als zehn Prozent der Stellen an Gesamtschulen abgebaut werden.

Herausgeber, Beirat und Mitarbeiter von Pädagogik halten Langes Äußerungen über Daschner für rechtlich problematisch, "weil sie mit der Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber seinen Mitarbeitern nicht zu vereinbaren sind". Der betroffene Beamte könne sich nicht gegen die Vorwürfe öffentlich verteidigen. Daschner genieße bundesweit "einen exzellenten Ruf als bildungspolitischer Experte". Von ihm seien "entscheidende und oft parteiübergreifende Impulse weit über Hamburg hinaus zu Kernfragen der Schulentwicklung und zur Reform der Lehrerbildung". Die Unterzeichner verlangen, "dass die öffentliche Herabsetzung von Peter Daschner beendigt wird und dass die Fähigkeiten von Peter Daschner als Landesschulrat für eine Entwicklung des Bildungssystems in Hamburg und über Hamburg hinaus weiter genutzt werden können".

Zu den Unterzeichnern des Protestbriefs zählen die Universitäts-Professoren Johannes Bastian, Herbert Gudjons und Horst Scarbath (Hamburg), Ursula Drews (Potsdam), Hans Werner Heymann (Siegen), Carl-Heinz Evers (Ex-Schulsenator Berlin), Hans-Jochen Gamm (Darmstadt), Klaus Hurrelmann, Klaus-Jürgen Tillmann (Bielefeld), Wolfgang Klafki (Marburg), Eckart Liebau (Erlangen) Horst Rumpf (Frankfurt/M.) und Thomas Ziehe (Hannover).

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Copyright © Frankfurter Rundschau 2002

Dokument erstellt am 12.06.2002 um 21:11:06 Uhr

Erscheinungsdatum 13.06.2002

http://www.frankfurterrundschau.de/fr/221/t221004.htm< /p>

Alle reden (nicht nur) von Bildung

Ein Thema wird für den Wahlkampf gefügig gemacht

Von Richard Meng

BERLIN. Michael Glos ist ein Beispiel, aber Gerhard Schröder auch. Es gibt viele so genannte führende Politiker in Berlin, die in diesen Wochen das Thema Bildung neu entdecken. Der Kanzler gibt jetzt sogar eine Regierungserklärung dazu ab, an der schon lange gefeilt wurde. Als "echter Sozialdemokrat" werde Schröder reden, wird in der Koalition versprochen. CSU-Landesgruppenchef Glos gibt den echten Konservativen. Er begründet mit der Pisa-Studie, warum die Union den Stopp weiterer Zuwanderung unbedingt zum Wahlkampfthema machen werde - "insbesondere da, wo die Klassen schon stark durch Ausländer durchmischt sind".

Es geht also längst nicht nur um Bildung, wenn das Thema nun in Berlin Karriere macht. Es zeichnet sich eher ein ungewöhnliches Durcheinander von Motiven ab. Die für den heutigen Donnerstag geplante Regierungserklärung des Kanzlers, die einst als anspruchsvollere Auseinandersetzung mit Wertefragen der Gesellschaft gedacht war, ist nur noch ein Produkt von "Pisa" und "nach Erfurt". Streng bildungspolitisch gesehen gibt es kaum präzise neue Impulse. Und deshalb passiert das in Wahlkämpfen Typische: Das Stichwort Bildung wird eingepasst in die großen politischen Strategien, und es verschwindet darüber fast alles Konkrete.

In der rot-grünen Regierung streiten sie sich immer noch, wohin eigentlich die versprochenen vier Milliarden Euro fließen sollen, die der Bund in der nächsten Legislaturperiode für Ganztagsbetreuung zugesagt hat. Entscheidungen sind vor der Wahl nicht mehr zu erwarten. Dafür hat vorbeugend auch der CSU-Kanzlerkandidat schon wissen lassen, dass er - wenigstens bis 2008 - für ein bedarfsdeckendes Angebot an Ganztagsbetreuung sorgen will. Was er für den Bedarf hält, hat er nicht gesagt.

In gezielt abgeschwächter Form wird Rot-Grün nach Schröders Rede jenen Antrag auf mehr bundespolitisches Engagement in der Schulpolitik im Parlament beschließen, der seit einigen Monaten auf die Abstimmung wartet und bei den Ländern zu allerlei Kompetenz-Eifersüchteleien geführt hat. Die Regierung wird darin aufgefordert werden, mit den Ländern "eine Verständigung über die Erarbeitung eines nationalen Bildungsberichts und die mögliche Einrichtung eines nationalen Sachverständigenrats zur Berichterstattung und Begutachtung über die Entwicklung des Bildungswesens in Deutschland herbeizuführen". Das heißt mit anderen Worten: Es gibt langwierige Verhandlungen mit den Ländern. Und Regierungs- wie Oppositionslager machen alle weiteren bildungspolitischen Tonlagen ohnehin noch von der Ende Juni verkündeten Länderauswertung "Pisa-E" abhängig.

Die Nominierung der Stuttgarter Kultusministerin Annette Schavan (CDU) für das Wahlkampfteam Stoibers hat der Union zunächst wenig zusätzliche Aufmerksamkeit gebracht. Schavan, so die Einschätzung bei Rot-Grün, müsse man nicht besonders ernst nehmen, weil sie ja nicht fest als Ministerin unter Stoiber eingeplant sei. Eine Reihe von Programmaussagen der Frau aus dem Südwesten aber sind damit bislang ebenfalls unterschätzt worden: ihr Plädoyer für Studiengebühren (wenn sie den Hochschulen zukommen) ebenso wie die Forderung nach Auswahl der Studierenden durch die Hochschulen oder ihr Vorwurf, die politische Linke habe "jahrzehntelang ignoriert, dass ausländische Kinder vor allem an ihren mangelnden Sprachkenntnissen scheitern". Stoff genug für Grundsatzkontroversen, die Rot-Grün bisher aber bis zur Bildungsdebatte im Parlament verschoben hat.

Über Niedersachsens Regierungschef Sigmar Gabriel, der ausländische Kinder auf weiter entfernt liegende Schulen verteilen will, hatte die SPD sogar bei sich selbst eine wenig ausgegorene Debatte über den Umgang mit Sprachkompetenz-Problemen von Ausländerkindern losgetreten. Und im Studiengebührenstreit in Nordrhein-Westfalen (NRW) sehen viele in der Bundes-SPD inzwischen eine große Belastung des Wahlkampfs. "Nicht hilfreich" sei der Konflikt, sagt der bildungspolitische Fraktionssprecher Jörg Tauss. Andere nennen dieses Thema sogar "verheerend" für die Glaubwürdigkeit im Bund, weil die Gebühren für Langzeitstudierende in NRW nicht zweckgebunden an die Hochschulen fließen. Bildungsministerin Edelgard Bulmahn ist im SPD-Präsidium am Montag aber mit einem Vorstoß gegen NRW-Regierungschef Wolfgang Clement an dessen Hartleibigkeit gescheitert.

Für die Bundestagsdebatte haben die Grünen sich jetzt vorgenommen, sich "auf die FDP einzuschießen", so ihr Bildungssprecher Reinhard Loske. Und die SPD wird sich die Konservativen vornehmen, Fraktionschef Peter Struck wird gezielt Schavan angreifen. Da das Thema Bildung jetzt neue Aufmerksamkeit hat, ist dies eine der wenigen Möglichkeiten, auf "größerer" Bühne noch einmal die tagespolitisch so oft von Taktik überlagerten unterschiedlichen Grundlinien deutlich zu machen. Und sei es gar als Wertekonflikt.

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Dokument erstellt am 12.06.2002 um 21:11:06 Uhr

Erscheinungsdatum 13.06.2002

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In Erklärungsnot

Den möglichen Verlierern bei Pisa-E wird es Angst und Bange / Extrem ungleiche Schulbedingungen in den Ländern

Von Jörg Feuck

"D-Day" nennt der Essener Bildungsforscher Klaus Klemm den 27. Juni. Tag des Desasters für einige Bundesländer? An jenem Donnerstag werden die noch streng geheimen Ergebnisse des innerdeutschen Vergleichs von Schülerleistungen (Pisa-E) präsentiert. Die Rangliste wird Tür und Tor für Deutungen öffnen, warum welches Schulsystem anscheinend effektiver oder schwächer ist. Doch welche Faktoren wirken zusammen und sind entscheidend? Da kapitulieren Experten.

FRANKFURT A.M. Marianne Demmer fürchtet, "dass die alten schulpolitischen Fässer aufgemacht werden". Die Schul-Frau im Vorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) mutmaßt, dass die ab 27. Juni amtliche Bildungsliga-Tabelle mit Länder-Champions und Absteigern zu "kleinkariertem provinziellen Parteiengezänk" verkommt, als "Wahlkampfmunition missbraucht wird". Und dass die Debatte der Vergleichbarkeit der Schulabschlüsse zwischen Schwerin und Saarbrücken wieder aufs Tapet kommt. Abwegig ist das nicht: Bei einem GEW-Kongress in Frankfurt am Main präsentierten Professor Klaus Klemm und Gertrud Hovestadt, beide Bildungsforscher an der Universität Essen, alarmierende Zahlen. Sie untermauern, dass es innerhalb Deutschlands keine Chancengerechtigkeit in der Bildung und keine einheitlichen sozialen Lebensverhältnisse gibt.

Prompt fragte der nordrhein-westfälische GEW-Chef Jürgen Schmitter fast flehend, wie er die von Klemm und Hovestadt veröffentlichte Tatsache verkaufen solle, dass laut Stundentafeln ein nordrhein-westfälischer Schüler am Ende der Klasse 9 rund tausend Stunden weniger Unterricht erlebt hat als ein bayerischer Schüler - das sind unterm Strich ein Schuljahr Unterschied. Gleichzeitig aber führt im Ländervergleich Nordrhein-Westfalen nach Hamburg die meisten Schüler zur Hochschulreife, Bayern die wenigsten. Hier also Billig-Abi für viele, dort das hochwertige, strenge Reifezeugnis für die, die es verdienen? Aber es ist komplizierter: Baden-Württemberg gelangt mit deutlich weniger Unterricht als Bayern ebenfalls zu respektablen, überdurchschnittlichen Abiturquoten. Bayern und Baden-Württemberg sind zwar topp bei Ausgaben pro Schüler, hingegen erreicht Nordrhein-Westfalen mit weit weniger Geld viel mehr "höhere Bildungsbeteiligung".

"Alles erklärt nichts", sagte Klemm bei der Vorstellung aktueller bildungspolitischer Indikatoren. Aus einfachem Zuordnen und Kombinieren ergibt sich eben kein stimmiges Bild. Kleinere Klassen seien keine Garantie für hohen Leistungsertrag; auch die Qualität der Lehrerausbildung - Schmalspur oder didaktisch anspruchsvoll - schlage sich nicht in eindeutigen Messergebnissen nieder.

Die Strukturdaten der Essener Wissenschaftler lassen das Bild von bildungspolitisch "typisch" sozialdemokratisch oder christdemokratisch regierten Ländern verschwimmen: Abgesehen von dem föderalen "strukturellen Chaos" (Klemm) in den 16 Ländern mit elf verschiedenen allgemeinbildenden Schultypen sind die Chancen von Jugendlichen aus Migrantenfamilien, das Abitur zu erreichen, von Land zu Land extrem unterschiedlich. So wie auch die Gefahr, die Schule ohne Abschluss zu verlassen. Im SPD-geführten Nordrhein-Westfalen bleiben 5,2 Prozent der deutschen und 12,1 Prozent der nichtdeutschen Schüler eines Altersjahrgangs ohne Hauptschulabschluss (beste Werte), im CDU-geführten Baden-Württemberg liegen die Quoten bei 6,2 und 18,4 Prozent. Rheinland-Pfalz, SPD-regiert, "leistet sich" 8,2 beziehungsweise 20 Prozent, Bayern 7,8 und 23 Prozent. Im CDU-regierten Thüringen mit sehr geringem Ausländeranteil scheitern 13,5 Prozent des gesamten Jahrgangs am Hauptschulabschluss.

Ein Blick auf die anspruchsvollsten Bildungsgänge: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein ausländischer Schulabgänger den Hochschulabschluss erreicht, ist in Rheinland-Pfalz am niedrigsten (6 Prozent), in Hamburg am höchsten (22 Prozent). Die "Sitzenbleiber"-Quote ist in Bremen am höchsten, gefolgt von Bayern und Sachsen-Anhalt sowie Schleswig-Holstein. Baden-Württemberg hat mithin die niedrigste Wiederholer-Quote, gleichzeitig unter den westlichen Flächenländern mit 12,5 Prozent den höchsten Anteil an Bevölkerung ohne deutschen Pass. "Die Südschiene ist politisch längst nicht so homogen wie in der Öffentlichkeit wahrgenommen", resümierte Klemm. Auch zwischen Ost und West geht die Schere weit auf: Sachsen-Anhalts Schüler haben nach sechseinhalb Schuljahren so viel Deutschunterricht gehabt wie Schüler an Rhein und Ruhr erst nach neun. Sachsen-Anhalt widmet fast ein Viertel des gesamten Unterrichts dem Fach Deutsch, Nordrhein-Westfalen nur 16 Prozent und damit fast so viel wie Thüringen.

Pisa-E werde zeigen, ob es einen deutlichen Zusammenhang gebe zwischen dem Anteil an hohen Schulabschlüssen und den Schülerleistungen, sagte Gertrud Hovestadt. Dabei hat Pisa international gezeigt: Am besten schneiden die Länder mit besonders hohen Abiturquoten ab. Aber gibt es nicht doch unverzichtbare Wirkstoffe, um ein gutes Schulsystem zu zaubern? Klaus Klemm rät dazu, parteipolitische Scheuklappen abzulegen: Pisa wie auch zurückliegende Untersuchungen hätten gezeigt, dass die Länder gut platziert sind, die Mindeststandards für Schulbildung klar definieren und deren Einhaltung durch zentrale Prüfungen überwachen. Daher steche ein Bundesland wie Baden-Württemberg hervor, wo es am Ende der Sekundarstufe 1 in allen Schulformen zentrale Abschlussprüfungen gibt. Noch eines gibt Klemm zu bedenken: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Differenz in einer Größenordnung von tausend Unterrichtsstunden nicht relevant ist."

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Dokument erstellt am 12.06.2002 um 21:11:06 Uhr

Erscheinungsdatum 13.06.2002

http://www.frankfurterrundschau.de/fr/221/t221007.htm< /p>

Zur Sache

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Was bringt Pisa-E?

Parallel zur internationalen Pisa-Studie sind in Deutschland vor zwei Jahren rund 50 000 Schüler im Alter von 15 Jahren an etwa 1500 Schulen getestet worden. Pisa-E erlaubt erstmals den innerdeutschen Vergleich von Schülerkompetenzen und Leistungsfähigkeit von Schulsystemen. Hamburg und Berlin bleiben ausgeklammert, weil zu wenig Haupt- und Realschüler bei der Erhebung mitmachten. Die zwei Stadtstaaten sind aber beim länderübergreifenden Vergleich der Gymnasien vertreten. Dies ist die einzige Schulform, die gesondert untersucht wird. In allen Bundesländern sind rund 30 Prozent der 15-jährigen Gymnasiasten.

Pisa-E wird auch soziale Herkunft, Migration, Lesebereitschaft, Schulklima und Ressourcen betrachten und die innerdeutschen Ergebnisse in die internationalen Rang-Übersichten einordnen. Wahrscheinlich sind Platzierungen im Mittelfeld. feu

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Dokument erstellt am 12.06.2002 um 21:11:06 Uhr

Erscheinungsdatum 13.06.2002

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Der Dammbruch

In NRW geht es längst nicht mehr allein um Uni-Gebühren

Die meisten nordrhein-westfälischen Hochschulen streiken weiter aus Protest gegen die aktuelle Bildungspolitik. Zehntausende Demonstranten sind landesweit auf die Straßen gegangen. Tausend Studenten setzten in Köln das empfindsame Dach der unterirdischen Philharmonie in Schwingungen, als darunter die Verleger-Dynastie Neven DuMont ihr 200-jähriges Kölner Regime feiern wollte.

Nur vordergründig geht es bei den Protesten um die Einführung einer "Verwaltungsgebühr" von 50 Euro pro Semester. Das räumte jetzt auch Ministerpräsident Wolfgang Clement (SPD) ein. Hieß es zunächst noch, dass die Gebührenpläne nicht hochschulpolitisch, sondern rein finanzpolitisch begründet seien, so erklärte der Ministerpräsident nun, dass er diese Gebühren für ein "zukunftsbezogenes Steuerungsinstrument" halte, das die Hochschulen entlaste und der Volkswirtschaft Vorteile bringe. Sein erklärtes Vorbild ist Baden-Württemberg.

Clement bezieht das vor allem auf die geplante Einführung von 650 Euro für Langzeit-, Zweit- und Seniorenstudierende. Damit stellt er seine Bildungsministerin und Parteifreundin bloß. Gabriele Behler engagierte sich noch vor Wochen zusammen mit dem rheinland-pfälzischen Wissenschaftsminister für ein Studienkontenmodell. Das sei intelligenter und etwas ganz anderes als die Gebühren für Langzeitstudenten in Baden-Württemberg. Wer etwa wegen anderer Jobs oder Familienpflichten nicht so intensiv studieren kann, hätte einen ausreichenden Umfang an Lehrleistungen frei. Die Pläne kann Behler, trotz gegenteiliger Beteuerungen, erst einmal ad acta legen.

Hochschulpolitische Grabenkämpfe um Gebühren werden plötzlich mit umgekehrtem Vorzeichen geführt. Der FDP-Hochschulpolitiker im Landtag, Friedrich Wilke, rühmt sich, in vorderster Front eine Anti-Gebührendemonstration in Gummersbach angeführt zu haben. Die CDU beantragte im Landtag eine Entschließung gegen die Gebührenpläne der Regierung.

Der Sozialdemokrat Dietrich Kessel und seine grüne Kollegin Katharina Seidl begründeten ausführlich, warum sie gegen Gebühren sind. Prinzipiell. Aber dem CDU-Antrag wollten sie auch nicht zustimmen. Alles noch ungelegte Eier, meinte Kessel auf der Podiumsdiskussion im überfüllten Kölner Audimax. Erst im November werde über den neuen Haushalt abgestimmt, bis dahin müsse man abwarten.

Ihre Doppelzüngigkeit zerstöre den Rest an politischem Kredit unter den Studenten, mussten sich Sozialdemokraten und Grüne sagen lassen. Die 50 Euro im größten Bundesland mit den meisten Studierenden seien der Dammbruch, erklärte Rene Schuijlenburg vom Bündnis "education is not for sale" auf einer Demonstration. Der kleine Betrag werde kaum die Etatlöcher stopfen helfen, trage aber sehr viel dazu bei, Bildung nicht länger als öffentliches Gut, sondern als Handelsware zu begreifen, so wie es das weltweite Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) nahe legt.

Vor 30 Jahren, als Wolfgang Clement studierte, war es noch möglich, 20 Semester zu studieren, Philosophie und Soziologie zu hören, um dann vielleicht doch noch Ingenieur zu werden oder Richter. Heute fehlt für diesen scheinbaren Luxus die Zeit - und das Geld. khh

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Erscheinungsdatum 13.06.2002

http://www.zeit.de/2002/25/Politik/200225_editorial.html

DIE ZEIT

Politik 25/2002

Alles wird besser, nichts wird gut

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Die Zustände an deutschen Schulen und Universitäten treiben die Menschen wieder auf die Straße: In Nordrhein-Westfalen wird gegen Studiengebühren protestiert, in der Hauptstadt für mehr Geld und Chancengleicheit, in Hamburg gegen den Schulsenator Rudolf Lange. Selbst Bundeskanzler Gerhard Schröder gibt sich neuerdings bildungsbeflissen

von

In zwei Wochen erhalten die Kultusminister ihre Zeugnisse. Zum ersten Mal werden die Schülerleistungen in verschiedenen Bundesländern miteinander verglichen. In Lehrerzimmern, Schulbehörden und Parteizentralen wächst die Prüfungsangst.

Egal, wie die Ergebnisse ausfallen: In Wahlkampfzeiten werden sie zur politischen Munition. Verspätet haben alle Parteien erkannt, dass sich mit dem Thema Bildung nicht nur Sonntagsreden halten, sondern auch Wählerstimmen gewinnen lassen. Denn die Zustände an deutschen Schulen und Universitäten treiben die Menschen wieder auf die Straße: In Nordrhein-Westfalen wird gegen Studiengebühren protestiert, in der Hauptstadt für mehr Geld und Chancengleicheit, in Hamburg gegen den Schulsenator Rudolf Lange (siehe Seite 28). Selbst Bundeskanzler Gerhard Schröder gibt sich neuerdings bildungsbeflissen.

Doch was will der Wähler hören? Einen Einblick in die deutsche Stimmungslage gewährt eine neue Umfrage (siehe Seite 27): Die Bundesbürger fordern mehr Leistung in der Schule, mehr Kontrollen, aber keine strukturellen Reformen. Alles soll besser werden, nur nichts anders. Das könnte für ein Wahlprogramm reichen - doch nicht als Therapie der Bildungsmisere.

http://www.zeit.de/2002/25/Hochschule/200225_b-bildungsstudie.html

DIE ZEIT

Wissen 25/2002

Wenn Eltern Schule machen

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Mehr Leistung, Wissen, Disziplin wünschen sich die Deutschen. Nur ändern soll sich nichts

von Ulrich Schnabel

Wird Deutschland zu einer Nation von Bildungsexperten? Ein halbes Jahr nachdem die Pisa-Studie deutschen Schülern mangelhafte Zensuren ausstellte, seitdem die Krise des deutschen Schulsystems auf unzähligen Tagungen beschworen und von Fachleuten aller Couleur mit Reformvorschlägen bedacht wurde, ist sie endgültig zum Thema der großen Politik geworden. Als Erste erkor die FDP Bildung zum Wahlkampfthema (siehe folgende Seite), vergangene Woche versuchte Edmund Stoiber mit der Berufung der baden-württembergischen Kultusministerin Annette Schavan in sein "Kompetenzteam" zu punkten, und nun will auch Kanzler Schröder Bildung zur Chefsache erklären.

Die bildungspolitische Betriebsamkeit ist nicht zuletzt dem 27. Juni geschuldet. Dann werden die Ergebnisse von Pisa-E veröffentlicht, dem ersten Leistungsvergleich zwischen den Bundesländern. Dass dessen Ergebnisse nach allen Regeln der Kunst instrumentalisiert werden, ist so sicher wie der Pausengong. Fragt sich nur, welche Interpretationen beim Wahlvolk ankommen. Was denken die Deutschen über ihre Schulen? Welche Themen bewegen Mütter und Väter zu Hause am Küchentisch oder beim Elternabend?

Einen Einblick in diese Stimmungslage liefert in dieser Woche das Institut für Schulentwicklungsforschung (IFS) der Universität Dortmund. Alle zwei Jahre meldet das IFS seit 1979 den Barometerstand der öffentlichen Meinung zur Schul- und Bildungspolitik. In diesem Jahr fällt das Ergebnis der Repräsentativbefragung von rund 3000 Bundesbürgern - zusammengetragen nach der Pisa-Studie, aber vor der Tragödie von Erfurt - drastisch aus: Nie war das Image der Schule miserabler.

Mehr Befragte als jemals zuvor, nahezu ein Drittel der Gesamtbevölkerung, halten die Kenntnisse der Schulabgänger in den Kernfächern Deutsch, Mathematik und Fremdsprachen für "schlecht"; dass die Schule sich kaum oder gar keine Mühe gebe, die Kinder zu fördern, glauben heute 26 Prozent - vor zehn Jahren waren es nur 17 Prozent. Und nach einer generellen Bewertung gefragt, erteilen 45 Prozent den Lehranstalten die Note "Vier" oder schlechter (siehe Grafik). Kein Zweifel, die Botschaft des Pisa-Schocks hat sich im Bewusstsein der Deutschen festgesetzt. Nun soll alles besser werden in den Schulen - nur nichts anders. Strukturellen Veränderungen gegenüber, wie die Pisa-Sieger sie vormachen, zeigen sich die Befragten wenig aufgeschlossen. "Insgesamt ergibt sich der Eindruck, die Öffentlichkeit fordert bessere Schulen ohne Reform", fasst IFS-Leiter Hans-Günter Rolff die Ergebnisse zusammen. Ähnlich träge zeigen sich Eltern, wenn es um ihren eigenen Beitrag geht oder den ihrer Kinder. Alle müssen sich mehr anstrengen - nur wir selbst bitte nicht ganz so sehr.

Deutlich gestiegen aber ist das Anspruchsdenken beim Thema Leistung. War Ende der reformpädagogisch bewegten siebziger Jahre noch eine Mehrheit von 60 Prozent überzeugt, die Leistungsanforderungen in der Schule seien zu hoch, glauben dies heute nur noch 15 Prozent (siehe Grafik). Dagegen hat sich der Anteil derer, die meinen, von den Schülern würde zu wenig gefordert, versiebenfacht (von 6 auf 42 Prozent). In rund 20 Jahren hat damit in der öffentlichen Wahrnehmung ein radikaler Einstellungswandel stattgefunden: Während früher über "Leistungsterror" geklagt wurde, schimpft man heute auf die "Kuschelpädagogik".

Wahlkämpfende Politiker sind also gut beraten, wenn sie mit der ebenso schlichten wie konservativen Forderung nach "mehr Leistung" über die Dörfer gehen. Allerdings sollten sie genau auf ihr Publikum achten. Denn die Haltung zum Schulbetrieb hängt stark vom persönlichen Bezug ab. Das Urteil der zusätzlich befragten Eltern mit Schulkind(ern) fiel nämlich deutlich milder (wenn auch tendenziell ähnlich wie das der Gesamtbevölkerung) aus: Eltern geben der Schule etwas bessere Zensuren und schätzen die Kenntnisse der Schüler höher ein. Fragt man gar, ob ihr eigenes Kind unterfordert sei, wollen das sogar nur noch sieben Prozent bejahen.

Natürlich lässt die Studie viele Fragen offen. Detaillierte Analysen, etwa was unter "Leistung" genau verstanden wird oder was die Eltern von Migrantenkindern denken, sind nicht möglich. Die Daten zeigen nur allgemeine Trends und die Veränderung der Stimmungslage zum Vorjahr. Doch gerade dies dürfte Bildungspolitiker interessieren. Wie etwa ist das Image der Schule in den unterschiedlichen Bundesländern? Die IFS-Studie liefert hierzu Aussagen zu den drei größten Ländern: Am stärksten ist der Unmut in Nordrhein-Westfalen - dort erhält das deutsche Schulsystem die schlechtesten Noten, und 50 Prozent finden die Leistungsanforderungen zu niedrig. Passende Daten dazu lieferte in der vergangenen Woche der Bildungsforscher Klaus Klemm von der Universität Essen. Im Vorfeld des Pisa-Ländervergleichs hat er Informationen über die Schulsysteme der Bundesländer zusammengetragen und dabei zum Teil gravierende Unterschiede ermittelt. So gibt Nordrhein-Westfalen mit 4300 Euro pro Jahr und Schüler deutlich weniger aus als Bayern (4800 Euro) und Baden-Württemberg (4600 Euro). Zudem haben die Schüler in dem SPD-geführten Bundesland von der ersten bis zur neunten Klasse bis zu 1000 Unterrichtsstunden weniger als im Freistaat - das entspricht einem ganzen Schuljahr. Schlecht schneidet Bayern dagegen bei der Abiturquote ab. Als eines der wenigen Bundesländer vernachlässigt es die Akademikerausbildung und muss Studenten importieren.

Solche Zahlen allein sagen zwar nichts über Lernerfolg und Qualität des Unterrichts aus - auch monieren die Nordrhein-Westfalen bereits, bei ihnen habe Klemm 200 Unterrichtsstunden unterschlagen. Doch das zeigt nur, wie brisant das Material für die Diskussion ist, welches politische Lager die Bildung wichtiger nimmt. Bildungsministerin Edelgard Bulmahn fordert daher dringend "bundesweit vergleichbare Standards in den Schulen".

Dass sie damit den Nerv des Volkes trifft, belegt die Umfrage des Dortmunder IFS. Sieben von zehn Bundesbürgern wünschen sich regelmäßige Tests, um die Leistungen aller Schüler bundesweit zu überprüfen. Fast ebenso viele sind dafür, dass die Ergebnisse dieser Tests auch veröffentlicht werden, damit gute und schlechte Schulen erkennbar sind. Außerdem fordern 90 Prozent der Befragten landesweit einheitliche Prüfungen für alle Schulabschlüsse. Würde die Kultusministerkonferenz also auf das Bürgervotum hören, müsste sie sich umgehend nicht nur um die Einführung des Zentralabiturs, sondern ebenso um landesweit gleiche Prüfungen für Real- und Hauptschulen bemühen.

Das ist eine bittere Lektion für die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die sich stets gegen Leistungsvergleiche gewandt hat - und zusammen mit der Hans-Böckler-Stiftung die IFS-Studie finanzierte. GEW-Vorsitzende Eva-Maria Stange trägt das "unbequeme Ergebnis" mit Fassung: Eltern hätten nun einmal ein Recht darauf, "zu wissen, wie Schule arbeitet".

Ansonsten lassen sich die Wünsche der Bundesbürger an die Bildungspolitik mit einem einzigen Wort beschreiben: mehr, und zwar am besten von allem. An erster Stelle: mehr Geld. Wie in den Vorjahren wollen 90 Prozent aller Befragten nicht, dass im Bildungswesen gespart wird. Gestiegen sind dabei die Forderungen an die Schule. Mehr als früher sollen sie Fachwissen, soziale Kompetenz, Allgemeinbildung, Berufsvorbereitung, Selbstdisziplin, Grundfertigkeiten wie Lesen und Rechnen sowie den Umgang mit Alltagsproblemen vermitteln. Dass alles zusammen kaum geht, scheint den wenigsten aufzufallen. "Die Bevölkerung reagiert eben ähnlich wie die Bildungspolitik", kommentiert Hans-Günter Rolff, "Widersprüche in den eigenen Zielvorstellungen werden kaum wahrgenommen."

Dennoch gewinnt Rolff den Antworten auch Positives ab: Die Forderung nach Leistung und Erziehung sieht er aus pädagogischer Sicht "als gute Balance" an. Anders als etwa in den Vereinigten Staaten stünde in Deutschland eben nicht "mehr Disziplin" allein ganz oben auf der elterlichen Wunschliste, sondern auch "eine gute Allgemeinbildung" und neuerdings "Fachwissen" sowie "vernünftiger Umgang miteinander".

Reformen sind nicht populär

Die steigende Wertschätzung solcher Ideale zeigt sich auch in der politischen Prioritätenliste. Nach der Schaffung von Arbeitsplätzen und dem Gesundheitswesen halten die Bundesbürger mittlerweile die Bildung (neben der sozialen Sicherung) für das drittwichtigste politische Thema. Für die Eltern schulpflichtiger Kinder ist es mittlerweile sogar das zweitwichtigste Thema. Mit seinem Profilierungsversuch als Bildungspolitiker liegt Gerhard Schröder also durchaus richtig.

Doch mit welcher bildungspolitischen Großtat lässt sich das Wahlvolk begeistern? Frustrierende Antwort für die Bildungsexperten: kaum mit jenen strukturellen Veränderungen des Schulsystems, wie sie nach dem Pisa-Schock in der Fachwelt diskutiert werden. Maßnahmen wie die Einführung integrierter Systeme, das längere gemeinsame Lernen aller Kinder oder die Abschaffung des Sitzenbleibens sind nicht populär. Der Anteil der Eltern, der in den ersten drei Jahren der Grundschule auf Zensuren verzichten möchte, geht sogar zurück. "Dabei verzichten die bei Pisa erfolgreichen skandinavischen Schulen bis zum siebten Schuljahr auf Zensuren", gibt Hans-Günter Rolff zu bedenken. Doch diese eher konservative Einstellung könne man den Eltern nicht verübeln, meint Eva-Maria Stange. "Solange man nicht weiß, dass Schulen auch anders und besser funktionieren können als in Deutschland - wie etwa in Finnland -, ist man zurückhaltend. Solche Modelle muss man selbst gesehen haben."

Der einzige Reformvorschlag, der Zustimmung in Ost und West findet, ist die Einführung von mehr Ganztagsschulen. Zum ersten Mal seit 20 Jahren hat sich in der Umfrage eine absolute Mehrheit (55 Prozent) dafür ausgesprochen. Damit hätte also die SPD, die kürzlich ankündigte, für Ganztagsschulen vier Milliarden Mark ausgeben zu wollen, wahltaktisch richtig gehandelt. Andererseits dürfen sich auch die Bildungspolitiker der Union bestätigt sehen: Schließlich stehen die südlichen Bundesländer im Ruf, von ihren Schülern besonders hohe Leistungen zu verlangen, und Annette Schavans Forderung nach einheitlichen Lernzielen und Leistungstests kommt beim Wähler an.

Nur für eines können sich die Bundesbürger offenbar nur wenig begeistern: das viel gescholtene Schulsystem mithilfe der Eltern zu verbessern. Zwar stimmen der allgemein gehaltenen Aussage "Eltern müssten die schulische Arbeit stärker unterstützen" rund 60 Prozent "voll zu". Wird man aber konkret und zwingt sie, aus einem Zwölfpunktekatalog die zwei wichtigsten Dinge auszuwählen, auf die Schulen mehr achten müssen, steht mit rund einem Prozent das Stichwort "Elternbeteiligung" ganz am Ende der Werteskala.

NDR 90,3
Aktuell
Alexander Heinz
Datum: 11.6.02
Sendung: 12.6.02
Auftrag: 1´10

Thema: Wechsel in der Behördenspitze

Anmoderationsvorschlag:

Heute stimmt die Hamburger Bürgerschaft über einen Antrag der SPD ab, Bildungssenator Rudolf Lange aus seinem Amt zu entlassen. Auch die GAL hat angekündigt, für diesen Antrag zu stimmen. Anlaß für die Rücktrittsforderung war die öffentliche Rüge, die der Senator während der letzten Bürgerschaftssitzung gegen Spitzenbeamte seiner Behörde ausgesprochen hatte. Nun stehen personelle Veränderungen auf der Leitungsebene der Bildungsbehörde bevor. Alexander Heinz.

Beitrag:

Acht Monate nach dem Amtsantritt von Bildungssenator Rudolf Lange zeichnet sich ab, dass Mitarbeiter in Schlüsselpositionen die Behörde entweder verlassen oder versetzt werden. Der stellvertretende Landesschulrat Reiner Schmitz will aus eigenem Antrieb gehen. Er hat sich bei den konfessionellen Schulen um eine neue Aufgabe beworben. Gestern beschloss der katholische Kirchen-Verband, dass Schmitz Bewerbung als Schuldezernent angenommen wird. Der neu geschaffene Posten verbindet die wirtschaftliche mit der pädagogischen Verantwortung für die 20 katholischen Schulen in Hamburg.
Als sicher gilt, dass der von Lange angegriffene Landesschulrat Peter Daschner sein bisheriges Aufgabengebiet nicht behalten soll. Unklar ist wohl, wie und wohin der Spitzenbeamte versetzt werden kann. Als Verantwortlicher für die allgemeinbildenden Schulen wird der jetzige Leiter des Amts für berufliche Weiterbildung, Achim Meyer auf der Heyde, ins Auge gefaßt.
Unterdessen haben sich Herausgeber und Redaktion des bekanntesten deutschen Fachblatts für Lehrer, der Zeitschrift "Pädagogik" mit Landeschulrat Daschner solidarisiert. Der Umgang mit dem Top-Beamten sei juristisch unhaltbar. Bildungssenator Rudolf Lange lasse Fairness und Ehrlichkeit im Umgang mit eigenen Fehlern vermissen. Unterschrieben wurde der Brief von Erziehungswissenschaftlern aus elf verschiedenen Universitäten. Daschner ist Mitherausgeber der Zeitschrift.

Hartmut von Hentig, Marianne Horstkemper, Ludwig Huber, Wolfgang Klafki, Klaus-Klemm, Will Lütgert, Hans-G. Rolff, Ewald Terhart, Klaus-Jürgen Tillmann

Kontakt: Klaus-Jürgen Tillmann, Wertherstr. 109 b, 33615 Bielefeld, Tel 0521/122826

Herrn

Senator Rudolf Lange

Präses der Behörde für Schule, Jugend und Berufsbildung Hamburger Str. 31 22083 Hamburg

Zur Auseinandersetzung um den Hamburger Landesschulrat Peter Daschner

Sehr geehrter Herr Senator,

wir - die Unterzeichner dieses Briefes - sind Erziehungswissenschaftler aus verschiedenen Universitäten der Bundesrepublik, wir befassen uns seit vielen Jahren mit Problemen der Schulentwicklung und der Schulreform. Im Rahmen dieser Arbeit haben wir - in je unter-schiedlicher Weise - den Hamburger Landesschulrat Peter Daschner kennen und schätzen gelernt. Peter Daschner ist ein bundesweit hoch angesehener Bildungsexperte, der seit den 80er Jahren wichtige Impulse für die bundesdeutsche Schulentwicklung gegeben hat: Er war einer der ersten, der Konzepte zur größeren Eigenständigkeit der Einzelschulen entworfen und in der praktischen Umsetzung gestützt hat. Er hat in vielfältiger Weise Reformen der Lehrerbildung angeregt und dabei eine Vorreiterrolle Hamburgs mitbegründet. Er hat bei den Hamburger Projekten zur Schulentwicklung stets die Kooperation mit der Erziehungswissenschaft ge-sucht und auf diese Weise zur empirischen Fundierung von bildungspolitischen und schulpä-dagogischen Maßnahmen beigetragen.

Wir sind entsetzt darüber, dass ein so kompetenter Fachmann von Ihnen, Herr Senator, öf-fentlich im Landesparlament als unqualifiziert hingestellt und als "unakzeptabel" bezeichnet wurde - und nun von Ihnen auch noch aus seinem Amt gedrängt wird.

Zu konkreten Fragen der gegenwärtigen Hamburger Schulpolitik wollen wir uns hier nicht äußern. Wir wollen aber in aller Klarheit deutlich machen, dass sämtliche Versuche, den her-vorragenden fachlichen Ruf von Landesschulrat Peter Daschner zu demontieren, auf unseren entschiedenen Widerspruch stoßen.

Da Ihre Aussagen zu Peter Daschner eine große Resonanz in der Öffentlichkeit hatten, wer-den Sie verstehen, dass auch wir diesen Brief öffentlich machen.

Hochachtungsvoll!

Prof. Dr. Hartmut von Hentig, Bielefeld/Berlin
Prof. Dr. Marianne Horstkemper, Potsdam
Prof. Dr. Ludwig Huber, Bielefeld
Prof. Dr. Wolfgang Klafki, Marburg
Prof. Dr. Klaus Klemm, Essen
Prof. Dr. Will Lütgert, Jena
Prof. Dr. Hans-G. Rolff, Dortmund
Prof. Dr. Elmar Terhart, Münster
Prof. Dr. Klaus-Jürgen Tillmann, Bielefeld

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